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Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an prozessunfähige Partei: Wirksam trotz Verstoßes gegen ZPO-Vorschriften!

ASLOGOBGH, Urteil vom 15. Januar 2014, Az. VIII ZR 100/13, vgl. auch NJW 2014, 937

Sachverhalt (vereinfacht): Für die Beklagte besteht seit etwa vier Jahren eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis „Vermögensangelegenheiten“.
  Der Kläger erwirkte am 27. Mai 2014 gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid. Der Vollstreckungsbescheid vom 27. Mai 2014 wurde der Beklagte am 5. Juni 2014 zugestellt. Diese war sowohl zum Zeitpunkt der Zustellung des vorausgegangenen Mahnbescheids als auch bei Zustellung des Vollstreckungsbescheids geschäfts- und prozessunfähig. Ihrem Betreuer wurden Mahn- und Vollstreckungsbescheid nicht zugestellt.

Der Betreuer, der hiervon wenige Tage später erfuhr, möchte gegen den Vollstreckungsbescheid Einspruch einlegen. Wie lange läuft die Einspruchsfrist?

Unterstellt der Einspruch wird rechtzeitig eingelegt und der Betreuer rügt eine fehlerhafte Zustellung von Mahn- und Vollstreckungsbescheid und lässt sich nur hilfsweise zur Sache selbst ein: Wie hätte das Gericht dann zu entscheiden?

A. Sounds
1. Die unter Verstoß gegen § 170 I ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar prozessunfähige Partei setzt die Einspruchsfrist in Gang.

2. Kann die prozessunfähigen Partei bzw. deren Vertreter nicht mehr rechtzeitig Einspruch einlegen, so kann sie bei Ablauf der Einspruchsfrist im Wiederaufnahmeverfahren den Nichtigkeitsgrund der mangelhaften Vertretung (§ 579 I Nr. 4 ZPO) geltend machen.

Lösung Frage 1

Zu prüfen ist ein Einspruch gemäß §§ 338 ff i.V.m. § 700 I ZPO.
  Fraglich ist, ob die zweiwöchige Einspruchsfrist des § 339 I ZPO bereits mit der am 5. Juni 2014 bewirkten Zustellung des Vollstreckungsbescheids an die zu diesem Zeitpunkt geschäfts- und prozessunfähige Beklagte zu laufen begann.
  Gemäß § 170 I 1 ZPO ist ein zustellungsbedürftiges Schriftstück bei nicht prozessfähigen Personen an deren gesetzlichen Vertreter zuzustellen; eine Zustellung, die – wie hier – an den Prozessunfähigen selbst erfolgt, ist unwirksam (§ 170 I 2 ZPO).
  Gemäß § 339 I 2. Hs. ZPO kann eine unwirksame Zustellung eines Versäumnisurteils oder eines Vollstreckungsbescheids grundsätzlich die Einspruchsfrist nicht in Gang setzen.
  Dies gilt jedoch nicht für die Fälle einer gemäß § 170 I 2 ZPO unwirksamen Zustellung von Urteilen oder Vollstreckungsbescheiden an die prozessunfähige Partei. Denn in Anbetracht der Ausgestaltung der Nichtigkeitsklage bei mangelhafter Vertretung einer Partei (§ 578 I, § 579 I Nr. 4, § 586 III, § 584 II ZPO) und des Gebots der Rechtssicherheit kommt einer unwirksamen Zustellung an eine als prozessfähig behandelte, tatsächlich aber prozessunfähige Partei ausnahmsweise insoweit Rechtswirkung zu, als es um die Auslösung der Einspruchs- oder Rechtsmittelfrist geht.

1. Details der Begründung des BGH

Nach § 586 III ZPO läuft die einmonatige Frist zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage (§ 586 I ZPO) im Falle der mangelhaften Vertretung der Partei (§ 579 I Nr. 4 ZPO) erst mit der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung an die Partei oder – wenn der Vertretungsmangel darin besteht, dass die Partei prozessunfähig ist, – mit der Zustellung an ihren gesetzlichen Vertreter.
  Der Gesetzgeber bringt damit zum Ausdruck, dass die Erhebung einer Nichtigkeitsklage wegen unzureichender Vertretung der Partei (§ 579 I Nr. 4 ZPO) auch in den Fällen möglich ist, in denen die Ausgangsentscheidung der prozessunfähigen Partei selbst zugestellt worden ist.
  Um die Partei in diesen Fällen vor einem Verlust dieser Klagemöglichkeit zu schützen, soll allerdings die einmonatige Klagefrist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage (§ 586 I ZPO) erst dann zu laufen beginnen, wenn eine – nunmehr wirksame – Zustellung an den gesetzlichen Vertreter der prozessunfähigen Partei erfolgt ist (§ 586 III 2. Hs. ZPO).
  Da das Gesetz eine Nichtigkeitsklage wegen mangelhafter Vertretung (§ 579 I Nr. 4 ZPO) auch bei der Zustellung an eine prozessunfähige Partei vorsieht (vgl. § 586 III ZPO), eine solche Klage aber gemäß § 578 I ZPO zwingend voraussetzt, dass ein rechtskräftiges Urteil ergangen oder ein rechtskräftiger Vollstreckungsbescheid (vgl. § 584 II ZPO) erlassen worden ist, müssen auch ein an die prozessunfähige Partei zugestelltes Urteil oder ein an sie zugestellter Vollstreckungsbescheid rechtskräftig werden können.
  Daraus ergeben sich wiederum Folgerungen für die Ingangsetzung von Einspruchs- oder Rechtsmittelfristen durch eine nach § 170 I 2 ZPO unwirksame Zustellung.

a. Detailbehandlung bei Versäumnisurteilen und Vollstreckungsbescheiden

Versäumnisurteile und Vollstreckungsbescheide, die nur mit dem Einspruch (§ 338 ZPO, § 700 I ZPO), nicht aber mit der Berufung angefochten werden können (§ 514 I ZPO), erlangen allein durch Ablauf der Einspruchsfrist (§ 339 I ZPO) Rechtskraft. Die vom Gesetz vorgesehene Nichtigkeitsklage wegen mangelhafter Vertretung (§ 579 I Nr. 4 ZPO) setzt daher unabdingbar voraus, dass die Einspruchsfrist (auch) bei einer – nach § 170 I 2 ZPO unwirksamen – Zustellung an die prozessunfähige Partei zu laufen beginnt.

b. Detailbehandlung bei Rechtsmittelfristen

Entsprechendes gilt – wenn auch etwas abgeschwächt – für den Lauf von Rechtsmittelfristen. Zwar ist dort der Eintritt der Rechtskraft nicht stets von dem Ablauf der Rechtsmittelfristen abhängig, da solche Entscheidungen bei fehlender oder unwirksamer Zustellung spätestens sechs Monate nach ihrer Verkündung rechtskräftig werden (§§ 517, 548, 544 I ZPO).
  Diese Möglichkeit ist aber bei Urteilen, die keiner Verkündung bedürfen (§ 310 III, §§ 307, 341 II ZPO), ausgeschlossen. In diesen Fällen ist daher für den Eintritt der Rechtskraft zwingend erforderlich, dass der Lauf der Rechtsmittelfrist durch eine nach § 170 I 2 ZPO unwirksame Zustellung ausgelöst wird.
  In den übrigen Fällen ist zu berücksichtigen, dass durch die Regelungen der §§ 517, 548, 544 I ZPO die Systematik der Nichtigkeitsklage nicht verändert werden sollte. Die Bestimmungen, wonach ein Urteil unabhängig von seiner Zustellung jedenfalls sechs Monate nach seiner Verkündung rechtskräftig wird, sollen gewährleisten, dass ein Urteil, dessen Zustellung aus vielerlei Gründen fehlschlagen kann, überhaupt in Rechtskraft erwächst. Dass der Gesetzgeber hierdurch einer prozessunfähigen Partei, der das Urteil selbst zugestellt wurde, abverlangen wollte, mit der Erhebung einer auf § 578 I Nr. 4 ZPO gestützten Nichtigkeitsklage bis sechs Monate nach der Urteilsverkündung zu warten, ist dagegen nicht anzunehmen.

2. Abwehr von Kritik an der BGH-Lösung

Ein Teil der Literatur verneint den Beginn des Laufes der Einspruchs- und Rechtsmittelfrist bei Verstoß gegen § 170 I ZPO unwirksame Zustellung an die prozessunfähige Partei in Gang gesetzt werden.
  Dies wird v.a. auf die Erwägung gestützt, eine Nichtigkeitsklage wegen mangelhafter Vertretung (§ 579 I Nr. 4, § 586 III ZPO) sei auch bei fehlender Rechtskraft der Ausgangsentscheidung zulässig. Dabei blenden sie aber die zentrale Vorschrift des § 578 I ZPO und das Wesen der Nichtigkeitsklage als Instrument zur Durchbrechung der Rechtskraft aus.
  Weiter sehen sie eine Benachteiligung der prozessunfähigen Partei darin, dass Zustellungsmängel bei einer nach § 170 I Nr. 2 ZPO unwirksamen Zustellung an eine prozessunfähige Partei hinsichtlich der Ingangsetzung von Einspruchs- und Rechtsmittelfrist anders behandelt werden als eine auf anderen Mängeln beruhende unwirksame Zustellung an eine prozessfähige Partei.
  Auch dies trifft bei näherer Betrachtung nicht zu. Denn eine – wegen Zustellungsmängeln unwirksame – Zustellung an eine prozessfähige Partei kann mangels Verwirklichung des Nichtigkeitsgrundes der mangelhaften Vertretung (§ 579 I Nr. 4 ZPO) nicht im Wege der Nichtigkeitsklage angefochten werden. Die ordnungsgemäß vertretene Partei muss folglich dagegen geschützt werden, dass ihr die ihr einzig zur Verfügung stehende Möglichkeit eines Rechtsmittels oder eines Einspruchs vorschnell abgeschnitten wird. Daher muss es in diesen Fällen bei dem Grundsatz bleiben, dass eine unwirksame Zustellung keinen Fristenlauf auslöst.
  Bei einer prozessunfähigen Partei, die Adressat einer unwirksamen Zustellung ist, greifen dagegen andere Schutzmechanismen ein. Hier eröffnet das Gesetz der prozessunfähigen Partei die Wahl, gegen die Ausgangsentscheidung entweder mittels eines Rechtsmittels oder eines Rechtsbehelfs vor-zugehen oder aber die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen zu lassen und anschließend – unter den Erleichterungen des § 586 III ZPO – eine auf § 579 I Nr. 4 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage zu erheben (vgl. § 579 II ZPO).
  Um der prozessunfähigen Partei diese Wahlmöglichkeit zu erhalten, muss der Lauf der Einspruchs- und Rechtsmittelfrist auch bei einer nach § 170 I 2 ZPO unwirksamen Zustellung an die Partei in Gang gesetzt werden.
  Andernfalls würden Versäumnisurteile, Vollstreckungsbescheide und Urteile, die nicht verkündet werden, überhaupt nicht in Rechtskraft erwachsen (vgl. § 339 I, § 700 I, § 310 III ZPO) und sonstige Urteile nur mit erheblicher Verzögerung, nämlich nach Ablauf von sechs Monaten ab Verkündung (§§ 517, 548, 544 I ZPO).
  Davon abgesehen trägt der Lauf von Rechtsmittel- und Einspruchsfristen bei einer gemäß § 170 I 2 ZPO unwirksamen Zustellung dem Bedürfnis Rechnung, im Interesse von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit Prozesse möglichst bald durch den Eintritt der formellen Rechtskraft der ergangenen Entscheidung zu beenden. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der formelle Akt der Zustellung in seiner Wirkung, die Rechtsbehelfsfrist in Lauf zu setzen, durch Mängel, die bei der Zustellung nicht erkennbar sind und erst in einem längeren Verfahren geprüft werden müssten, in Frage gestellt würde.
  Die Belange eines Zustellungsempfängers, dessen Geschäftsunfähigkeit trotz § 56 I ZPO unerkannt geblieben ist, werden durch die Ausgestaltung der Regelungen zur Nichtigkeitsklage (§ 579 I Nr. 4, § 584 II, § 586 III ZPO) ausreichend geschützt.

Ergebnis

Die zweiwöchige Einspruchsfrist des § 339 I ZPO hat mit der am 5. Juni 2014 bewirkten Zustellung des Vollstreckungsbescheids an die zu diesem Zeitpunkt geschäfts- und prozessunfähige Beklagte zu laufen begonnen. Es muss daher spätestens am 19. Juni 2014 Einspruch eingelegt werden, wenn der wahlweise mögliche, aber formal kompliziertere Umweg über eine Nichtigkeitsklage (§ 579 I Nr. 4, § 584 II, § 586 III ZPO) vermieden werden soll.

Lösung Frage 2

Fraglich ist, ob überhaupt eine Sachentscheidung getroffen werden kann.
  Die Beklagte war bei Zustellung des dem Vollstreckungsbescheid zugrundeliegenden Mahnbescheids, auf den für die Rechtshängigkeit abzustellen ist (§ 700 II ZPO), prozessunfähig. Daher fehlt es damit an der für den Erlass eines Sachurteils unabdingbaren Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Klageerhebung.
  Ein solcher Mangel kann nachträglich durch eine rügelose Einlassung des gesetzlichen Vertreters der prozessunfähigen Partei gemäß § 295 ZPO geheilt werden.
  Eine solche Heilung liegt jedoch nicht vor, wenn der Betreuer der Beklagten neben der formellen Rüge auch inhaltliche Einwände gegen die Forderung erhebt. Dies reicht nicht aus, um die Rechtswirkungen des § 295 I ZPO auszulösen.
  Liegt keine Heilung vor, so ist eine Aufhebung des Vollstreckungsbescheids auszusprechen (§ 343 ZPO) und zusätzlich das dem Vollstreckungsbescheid zugrundeliegende Zahlungsbegehren durch Prozessurteil abzuweisen.