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Im Gespräch mit Menold Bezler

Menold Bezler sieht sich als unabhängige Rechtsanwalts- und Notarkanzlei mit Sitz in Stuttgart mit dem Fokus auf mittelständische Unternehmen und Unternehmer. Dabei steht die Kanzlei für das komplette Leistungs-portfolio einer Großkanzlei, verbunden mit der individuellen Betreuung einer kleineren Einheit. Doch wie steht die Kanzlei zum Thema Work-Life-Balance und vor allem wie wird das gelebt? Peter Neuberger sprach mit Dr. Julia Schneider und Dr. Jörg Schneider-Brodtmann und erhielt interessante Einblicke.

Herr Dr. Schneider-Brodtmann, Sie sind als Partner der Kanzlei Menold Bezler in Stuttgart auch für das Personalrecruiting zuständig. Ist für Sie das Schlagwort Work-Life Balance ein Thema?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Ich mache Personalarbeit nun seit mehr als zehn Jahren und kenne das Thema sehr gut. Das Thema Work-Life Balance beschäftigt und bewegt uns. Es steht auch in den Medien verstärkt im Vordergrund. Und es macht Sinn, sich darüber noch mehr Gedanken zu machen.

Bild3Was waren denn Ihre Beweggründe in eine Wirtschaftskanzlei zu gehen?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Das ist schon ein paar Jahre her, ich bin jetzt seit 17 Jahren im Beruf. Ich war damals bei meiner Berufswahl offen für andere Karrieren. So habe ich mir auch die Justiz angeschaut. Was mich letztlich bewogen hat, Anwalt zu werden, war die inhaltliche Freiheit, die der Beruf bietet. Als Anwalt sind Sie ein Berater, Sie können gestalten, Sie können die Dinge in die Hand nehmen. Letztlich ist es die Freiheit, als Anwalt in einer Sache den Mandanten an die Hand zu nehmen und in eine Richtung zu führen.

Das Thema Work-Life Balance betrifft im Kern das Thema Zeit. Wirtschaftskanzleien haftet der Ruf an, dass die Arbeit sehr zeitintensiv ist. Ist das so?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Das Zeitmoment ist ein entscheidendes Moment. Wir sind Dienstleister und wenn wir erfolgreich und gut sind, wird die Dienstleistung intensiv nachgefragt. Das lässt sich natürlich nur mit einem gewissen Zeitaufwand bewältigen. Es ist immer ein zeitlicher Input gefordert. Man kann das optimieren, der eine braucht mehr, der andere weniger Zeit, aber das Zeitmoment ist immer entscheidend. In Wirtschaftskanzleien ist der zeitliche Einsatz sicherlich höher als bei der Justiz und tendenziell auch höher als in Unternehmen. Es gibt aber graduelle und individuelle Unterschiede in verschiedenen Wirtschaftskanzleien.

Hat das Thema Work-Life Balance für Bewerber heute an Wichtigkeit zugenommen oder hat sich nichts verändert und ist es nur ein Modethema?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Wir nehmen es nicht ganz so stark wahr, wie es der medialen Aufbereitung entspricht. Laut Umfragen steht das Thema für Bewerber an erster Stelle. So erleben wir das aber nicht. Work- Life Balance spielt jedoch in den Gesprächen eine Rolle und wird heute selbstbewusster angesprochen als noch vor fünf oder zehn Jahren. Es ist aber nicht das zentrale Thema. Die Bewerber trauen sich nachzufragen, wobei man schon immer über das Zeitthema gesprochen hat. Wichtiger sind die Themen Arbeitsatmosphäre, Teamgeist, stimmt der Spirit in der Kanzlei und wie sind die Altersstrukturen? – Themen, die auch eine qualitative Komponente haben. Da geht es nicht um die strikte Trennung Arbeit und Privatleben, sondern vielmehr darum, wie ist qualitativ in der Arbeitszeit der Umgang miteinander und wie verbringe ich qualitativ meine Arbeitszeit?

Ist Work-Life Balance eine Frage der Kanzlei-Kultur?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Den Begriff Work-Life Balance mag ich nicht so, weil er schief ist. Es gibt nicht hier ein „Work“ und da ein „Life“. Die Arbeit ist ein Teil des Lebens, daher spreche ich lieber von Life-Balance. Das inhaltlich-qualitative Thema steht im Vordergrund und es macht schon einen Unterschied, ob ich als junger Berufsanfänger in einem Team viele junge Kollegen habe und mich austauschen kann, offene Türen vorfinde und von Anfang an in Projekte eingebunden bin. Demgegenüber steht das klassische Bild: Werde ich in einem kleinen fensterlosen Raum eingeschlossen und bekomme lediglich Akten auf den Tisch, die ich bearbeiten soll? Ich denke, da geht es um die Frage der Lebensqualität.

Frau Dr. Schneider, Sie sind angestellte Rechtsanwältin bei Menold Bezler und arbeiten im Bereich gewerblicher Rechtsschutz. War für Sie bei der Berufswahl das Thema Life-Balance von Bedeutung?
Dr. Julia Schneider: Es spielte im Hintergrund eine Rolle. Damals, vor ziemlich genau fünf Jahren, hätten sich die meisten Bewerber nicht getraut, das so direkt anzusprechen wie heute. Man hat sich natürlich für die Arbeitszeit interessiert und wie in dieser Hinsicht die Erwartungshaltung der Kanzlei ist. Aber das gesamte Thema Work-Life Balance, wie es vor allem in den vielen Zeitschriften momentan dargestellt wird, war im Selbstbewusstsein der Bewerber so bestimmt nicht vorhanden.

Sie arbeiten hier in Teilzeit. Ist es einfach, die Mandatsbearbeitung in Teilzeit zu erbringen? Wie ist dies organisierbar und wie empfinden Sie das?
Dr. Julia Schneider: Ich habe das ganze Programm an Teilzeitmöglichkeiten durchlaufen, das Menold Bezler anbietet. Ich habe schon in Teilzeit hier angefangen und promotionsbegleitend ein Jahr in der Kanzlei gearbeitet. In dieser Phase war der Teilzeitaspekt ein ganz anderer als jetzt. Neben der Promotion ist man am Anfang seiner anwaltlichen Tätigkeit noch nicht so sehr in die Mandatsarbeit einbezogen, obwohl wir uns sehr bemühen, das bei den jungen Kollegen voranzutreiben. Dann habe ich vier Jahre in Vollzeit gearbeitet und bin danach ein Jahr in Elternzeit gegangen. Jetzt habe ich wieder in Teilzeit angefangen zu arbeiten und habe mir beim Wiedereinstieg die Frage gestellt: Kann das funktionieren? Das Ganze ist nun zwölf Monate her seit meinem Wiedereinstieg und ich kann Ihnen heute sagen, ja, es funktioniert.

Bild11Funktioniert es nur oder würden Sie es auch anderen raten?
Dr. Julia Schneider: Ich kann nur Mut machen, das so oder in anderer Form zu tun und es zu versuchen, wenn man eine Familie haben möchte. Man muss weder auf das eine noch auf das andere verzichten. Es ist sicherlich abhängig auch von den Bereichen in denen man arbeitet. Der gewerbliche Rechtsschutz bietet die ganze Spannbreite: Wir haben diese reinen IP-Mandate, wir haben aber auch transaktionsbezogene Mandate, wo wir auch im Team mit anderen Kollegen arbeiten und uns gemeinsam abstimmen, und auch das funktioniert gut.

Herr Dr. Schneider-Brodtmann, gibt es in Ihrem Haus feste Teilzeitprogramme oder ist das eher eine individuelle Frage, die unterschiedlich geregelt wird?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Wir sind in das Thema hineingewachsen, weil wir eine junge Kanzlei sind. In der Form wie heute bestehen wir seit 2004, als wir die Kanzlei mit 20 Anwälten gründeten. Wir sind jetzt sehr stark gewachsen und sind derzeit 70 Anwälte. Das zeigt sich in unserer Altersstruktur: Wir haben sehr viele junge Kollegen - unser Altersschnitt liegt deutlich unter 40, bei den Jüngeren ist der Frauenanteil sehr hoch, er liegt bei den unter 35-Jährigen sogar deutlich über 50 %. Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auf uns zugekommen, lange bevor es eine Diskussion über Work-Life Balance gab. Unser Modell ist, so flexibel wie möglich zu sein. Es ist unser Interesse, dass die Mitarbeiter zufrieden sind. Frau Dr. Schneider ist ein gutes Beispiel hierfür. Wir hatten auch schon Väter, die ihre Elternzeit genommen haben. Nun sind wir auf dem Weg zu einem sogenannten „Programm“. Wir haben ein Teilzeitmodell auf der Ebene der Partnerschaft im Gesellschaftsvertrag eingeführt, bei dem ein Partner zwischen 50% und 100 % frei wählen kann. Das wird von einem jungen Partner schon in Anspruch genommen. Wir greifen die Dinge auf und versuchen uns damit auch fortzuentwickeln.

Wie wird das von der Mandantenseite gesehen? Sehen die Mandanten ein Problem darin, wenn sie von einem Mitarbeiter betreut werden, der in Teilzeit tätig ist?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Da kann Frau Dr. Schneider aus eigener Erfahrung am besten etwas dazu sagen. Dr. Julia Schneider: Ich habe mich entschieden, das relativ offen zu kommunizieren und habe durchweg positive Erfahrungen damit gemacht. Das Wichtigste ist selbstverständlich die Qualität der Mandatsarbeit. In vielen Fällen haben die Mandanten Verständnis dafür, dass die Arbeit in der Zeit erfolgt, in der ich da bin, denn ich bin ja relativ viel hier vor Ort in der Kanzlei. Und ansonsten braucht man ein Team, das einen unterstützt. Ich entlaste die Kollegen, wenn ich da bin, und anders herum, und das funktioniert. In Kombination mit den modernen Kommunikationsmitteln, die uns heute natürlich allen zur Verfügung stehen, kann man das eigentlich sehr gut bewältigen. Es gibt Stresssituationen, es kommt mal Hektik auf, denn im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes geht’s häufig eilig zu, gerade wenn es um eine einstweilige Verfügung geht. Aber wir sind ein Team, das zusammenhält, so dass man das alles sehr gut bewerkstelligen kann.

Wenn man die Work-Life Balance-Frage als Kulturfrage sieht, die fragt, wie man als Arbeitgeber mit der Lebenszeit des Mitarbeiters umgeht, gibt es da Veränderungen zu früher?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Für uns war diese Frage schon damals relevant, als die Kanzlei neu gegründet wurde. Wir haben uns ja aus einem großen Verbund herausgelöst, das heißt wir hatten alle die Erfahrungen in Groß- und Größtkanzlei gemacht und insofern war es schon wichtig, mit einem gemeinsamen Spirit an den Start zu gehen und uns den auch zu erhalten. Das wird natürlich immer schwieriger, wenn Sie mit 20 Leuten starten und dann auf 50 und 70 Köpfe wachsen. Wir haben aber einen Vorteil, denn wir haben nur einen einzigen Standort in Stuttgart, das heißt alle kennen sich gut. Das macht es natürlich schon viel einfacher, als wenn man über Standortgrenzen hinweg die Dinge erst ausbalancieren muss. Was es fördert und was es uns leichter macht, solche Modelle wie das von Frau Dr. Schneider zu fördern, ist, dass wir einen starken Teamansatz haben, sprich der Einzelne ist eben Teil des Teams und wo sich der Einzelne zurücknehmen muss aus zeitlichen Gründen, fängt das Team das auf. Dann werden die Fälle eben von zwei Kollegen bearbeitet, damit z.B. die Arbeit in den Stunden am Nachmittag, in denen der Kollege oder die Kollegin nicht da sein kann, weiter gehen kann, gerade in einer Transaktion.

Wie stark fließt das letztendlich auch in den Bereich der Nachwuchsgewinnung, also der Personalentscheidung, ein? Wie findet man bei einem Bewerber heraus, ob er oder sie diese Kultur so auch will und bei Ihnen gut reinpasst? Ist das auch ein Auswahlkriterium?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Absolut, es ist bei uns ein wichtiges Auswahlkriterium. Ich persönlich gehe oft in Zweitgespräche noch mit hinein, um zu sehen, passt der oder die Kandidatin wirklich zu uns. Wir haben Fälle, in denen wir Kandidaten mit sehr guten Noten hatten, die wir dennoch nicht genommen haben, weil wir das Gefühl hatten, das passt einfach nicht. Wir achten schon auf das „gelebte Miteinander“ - das sind große Worte, die wir auch leben. Es spielt eine echte Rolle in den Bewerbungsgesprächen. Wir reduzieren die Fragen, die wir den Bewerbern stellen, nicht nur auf die Ausbildung und fachliche Qualifikation, sondern wir fragen auch: Was motiviert Sie? Was motiviert Sie Anwalt zu sein? aber auch: Was machen Sie in der restlichen Zeit? Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit? Das sind alles Themen, die uns auch interessieren.

Ist damit Work-Life-Balance auch ein Thema der Persönlichkeit und des Erlebens?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Wichtig für uns ist, das Thema nicht nur auf das Zeitthema zu reduzieren, sondern die Frage nach der Qualität zu stellen. Wo bekomme ich die Qualität in meinem Berufsleben und auch im Privatleben her? Ich glaube das ist entscheidend. Wenn ich nur sechs Stunden hier bin und unglücklich bin, sind es trotzdem sechs Stunden, die ich verloren habe. Dann sind vielleicht acht oder zehn Stunden besser, in denen ich das tue, mit dem ich mich identifizieren kann und zufrieden bin. Natürlich gibt es für uns noch Herausforderungen, Fragestellungen wie: Wie können wir noch besser werden? oder: Wo können wir unsere Mitarbeiter unterstützen? So ist ein Thema, mit dem wir uns schon länger beschäftigen, das Thema Kinderbetreuung. Wir haben bereits relativ viele Modelle durchgespielt, angefangen von einem Betriebskindergarten, und uns andere Einrichtungen angeschaut und gemerkt, dass wir dafür noch zu klein sind. Es sind ja auch bisher sehr wenige Kanzleien in Deutschland, die solche Einrichtungen haben, und wenn, dann nur die ganz Großen. In Frankfurt gibt es wohl zwei oder drei solcher Sozietäten. Dann haben wir Belegplätze von bestimmten Anbietern angesehen, haben jedoch gemerkt, dass die Flexibilität uns nicht ausreicht. Häufig wollen unsere Mitarbeiter ihre Kinder nicht in der Nähe der Kanzleiräume unterbringen, sondern doch eher in der Nähe des Wohnortes, wo dann vielleicht auch die Großeltern sind. Worüber wir uns jetzt Gedanken machen, ist beispielweise ein Zuschuss zu den Kinderbetreuungskosten, um gerade den Frauen den Wiedereinstieg zu erleichtern.

Zitat9Ist also das Thema Kinderbetreuung schon ein zentraler Faktor?
Dr. Julia Schneider: Ich finde, es ist ein Zeichen von Seiten des Arbeitgebers wenn man merkt, dass er sich über solche Themen Gedanken macht. Abgesehen davon, dass die konkrete Person Hilfe bekommt, ist dies einfach auch ein klares Signal an die Bewerber, dass man eben in einer solchen Kanzlei Familie und Arbeit vereinbaren kann. Es ist aber auch wichtig, selbst die Bereitschaft dafür zu haben. Man muss flexibel sein, aber es ist natürlich ein sehr gutes und wichtiges Gefühl, dass die Kanzlei diese Teilzeitmodelle unterstützt und diese Familienfreundlichkeit hoch hält. Ich rate deshalb auch den Bewerbern, dies im Vorstellungsgespräch konkret anzusprechen, wenn das Thema für jemanden relevant ist. Dann wird man schnell merken, ob man an der richtigen Adresse ist oder eben auch nicht. Ich denke, es gibt noch viele Kanzleien, die da doch sehr konservativ aufgestellt sind.

Ist es bei Ihnen dann also auch möglich, Karriereziele, wie das Ziel Partner zu werden, mit privaten Lebenszielen zu verknüpfen?
Dr. Jörg Schneider-Brodtmann: Auch das ist ein Thema, in das wir hineingewachsen sind. Das ist eine Veränderung, die es vor fünf Jahren in Großkanzleien noch nicht gab, nämlich dass man ein Teilzeitmodell für Partner hatte, in dem die Partner frei entscheiden können, ob sie ihre Arbeitszeit reduzieren oder nicht. Das war früher undenkbar. Wir sind in das Thema hineingekommen über einen älteren Partner, der gesagt hat, er möchte jetzt mal reduzieren. So haben wir uns dann mit der Fragestellung beschäftigt, und da gab es innerhalb der Partnerschaft keine große Diskussion, und man hat gesagt: Wieso soll er das nicht tun, wenn er dies möchte? Dann war die Konsequenz zu sagen: Warum soll das nur ein älterer Kollege können? In manchen Kanzleien gab es das Modell lange Zeit nur für Frauen. Warum soll es also nicht auch ein Mann können? Wir haben zurzeit sowohl auf Salary-Partner-Ebene als auch auf Equity-Partner-Ebene Teilzeitpartner, von daher denke ich, der Weg muss für alle offen sein.