BGH, Beschluss vom 19. Juni 2013, Az. XII ZB 39/11; vgl. auch NJW 2013, 2595
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um Kindesunterhalt. Die Mutter der Antragstellerin und ursprüngliche Antragstellerin ist die geschiedene Ehefrau des Antragsgegners. Die Antragstellerin ist deren aus der Ehe hervorgegangene Tochter. Sie wurde während des Verfahrens, das vor der Scheidung der Eltern begann, volljährig.
Die Mutter der Antragstellerin hatte den Kindesunterhalt zunächst im eigenen Namen für ihre Tochter geltend gemacht. Nach Eintritt ihrer Volljährigkeit möchte die Antragstellerin anstelle ihrer Mutter das Verfahren fortsetzen, doch der Antragsgegner widerspricht dem. Zulässigkeit des Antrags der Antragstellerin?
A. Sounds
1. Endet die gesetzliche Verfahrensstandschaft eines Elternteils nach § 1629 III BGB mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, so liegt kein gesetzlicher Beteiligtenwechsel vor. Das Kind kann als Antragsteller in das Verfahren nur im Wege des gewillkürten Beteiligtenwechsels eintreten.
2. Dieser gewillkürte Beteiligtenwechsel ist nicht von der Zustimmung des Antragsgegners abhängig.
B Lösung
Der Antrag ist zulässig, wenn die Antragstellerin in wirksamer Weise anstelle ihrer Mutter in das Verfahren eingetreten ist.
Auslöser dieses Beteiligtenwechsels ist Folgendes: Die auf Seiten der ursprünglichen Antragstellerin bestehende Verfahrensstandschaft nach § 1629 III 1 BGB bestand zwar über die Scheidung hinaus zunächst noch fort. Sie ist aber mit Eintritt der Volljährigkeit der Antragstellerin entfallen, was auch wegen des Unterhalts für die Vergangenheit gilt.
1. Problem: Parteiwechsel kraft Gesetzes oder gewillkürter Parteiwechsel?
Wie dem Wegfall der Verfahrensstandschaft bei Eintritt der Volljährigkeit des Kindes im Verfahren Rechnung zu tragen ist, ist umstritten.
Nach der früheren Rechtsprechung des BGH trat ein Parteiwechsel kraft Gesetzes ein, durch den das unterhaltsberechtigte Kind ohne weitere prozessuale Erklärungen an die Stelle des Elternteils treten sollte.
Nach neuester Rechtsprechung des BGH liegt in Abkehr hiervon kein Parteiwechsel kraft Gesetzes mehr vor.
Aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Prozess- bzw. Verfahrensstandschaft nach § 1629 III BGB folgt vielmehr, dass es der freien Entscheidung des volljährig gewordenen Kindes überlassen bleiben muss, ob es sich am Verfahren beteiligt und dieses fortsetzt.
Dass das Kind einerseits die Möglichkeit hat, dem Verfahren beizutreten, es andererseits hierzu aber auch nicht gezwungen werden darf, lässt sich nur durch einen gewillkürten Kläger- bzw. Antragstellerwechsel sicherstellen.
Die als zwingend ausgestaltete Regelung in § 1629 III 1 BGB lässt die Geltendmachung des Unterhalts nur im eigenen Namen des sorgeberechtigten Elternteils zu und verfolgt den Zweck, das Kind aus dem Streit der Eltern herauszuhalten.
Dem widerspräche es, wenn das Kind mit Eintritt seiner Volljährigkeit ohne Rücksicht auf seinen Willen zum Beteiligten des Verfahrens würde. Sollte das Kind sich etwa entschließen, das Verfahren nicht weiterzuführen, müsste es den Unterhaltsantrag mit der Kostenfolge nach §§ 113 I 2 FamFG, 269 III ZPO zurücknehmen. Eine einseitige Erledigungserklärung wäre mangels eines erledigenden Ereignisses unbegründet. Aber auch eine übereinstimmende Erledigungserklärung wäre für das Kind mit einem Kostenrisiko verbunden.
Anmerkung: Ohne Diskussion behandelt der BGH hier die §§ 113 I 2 FamFG, 269 III ZPO als Sonderregel zu § 243 FamFG. Er folgt damit der bisherigen Mindermeinung, die für § 243 FamFG eine Entscheidung des Gerichts über den Unterhalt selbst – also nicht nur über die Verfahrenskosten – fordert.
Dagegen kann der ehemalige Verfahrensstandschafter den Antrag – abgesehen von einer etwaigen Antragsumstellung auf einen (in seiner Person entstandenen) familienrechtlichen Ausgleichsanspruch – notfalls einseitig für erledigt erklären, weil mit der Verfahrensführungsbefugnis eine Zulässigkeitsvoraussetzung nachträglich entfallen ist.
Exkurs: Bei dem vom BGH hier am Rande erwähnten familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geht es um einen Regressanspruch des Zahlenden gegen den anderen Elternteil, der den Zweck hat, die Unterhaltslast gegenüber Kindern auch im Innenverhältnis zwischen den Eltern entsprechend ihrem Leistungsvermögen gerecht zu verteilen. Die Höhe dieses Ausgleichsanspruchs richtet sich nach den Haftungsanteilen der Eltern (§ 1606 III 1 BGB).
Ein solcher familienrechtlicher Ausgleichsanspruch für den Unterhalt eines gemeinschaftlichen ehelichen Kindes kommt in Betracht, wenn trotz Leistungsfähigkeit beider Eltern ein Elternteil allein für den Unterhalt aufgekommen war. Allerdings ist der Anspruch entsprechend § 1360b BGB an die Voraussetzung geknüpft, dass der Elternteil zu der Zeit, als er die Unterhaltsleistungen erbrachte, die Absicht gehabt haben musste, von dem anderen Elternteil Ersatz zu verlangen.
Überdies gilt eine weitere Begrenzung: Bei den mit Hilfe des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs geforderten Ersatzbeträgen handelt es sich wirtschaftlich gesehen um rückständige Unterhaltsleistungen, nämlich um Geldleistungen, die demjenigen zu erbringen sind, der die Unterhaltslast zunächst auf sich genommen hat. Daher besteht der Anspruch für die Vergangenheit nur in den Grenzen des § 1613 BGB. Der leistende Elternteil kann den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch also erst ab seiner Aufforderung zur Auskunft über Einkünfte und Vermögen, ab Verzug oder ab Rechtshängigkeit beanspruchen.
Durch einen hier allein möglichen gewillkürten Beteiligtenwechsel wird demnach nicht nur der Verfahrensherrschaft des (ursprünglichen) Antragstellers Rechnung getragen, sondern vor allem auch dem Umstand, dass das Kind nicht ohne seinen Willen Beteiligter des Verfahrens werden darf und aus dem Streit der Eltern herausgehalten werden soll.
2. Wirksamkeitsvoraussetzungen des gewillkürten Parteiwechsels
Die Antragstellerin hat mit Zustimmung ihrer Mutter den Eintritt in das Verfahren erklärt.
Da der Beteiligtenwechsel allein im Wegfall der Verfahrensführungsbefugnis begründet liegt und nicht mit einer Änderung des Streitstoffs verbunden ist, bedurfte es keiner Zustimmung des Antragsgegners.
Im Gegensatz zum Parteiwechsel bei Einzelrechtsnachfolge ist der Beteiligtenwechsel nicht – wie gemäß §§ 113 I 2 FamFG, 265 II 2 ZPO – kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung an die Zustimmung des Verfahrensgegners gebunden.
Anmerkung: Ein Fall von § 265 I ZPO mit der dann zwingenden Folge des § 265 II 2 ZPO liegt – anders als etwa bei einer Abtretung der Klageforderung – nicht vor, weil das Kind vor und nach Volljährigkeit Inhaber der Unterhaltsforderung ist. Die Mutter, die vor der Volljährigkeit Antragstellerin war, hatte eine rein prozessuale Kompetenz, die Unterhaltsforderung geltend zu machen, war dadurch aber nicht deren Inhaberin.
Ergebnis
Der Beteiligtenwechsel ist zulässig.
