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Benachteiligung wegen des Alters: Wann ist ein Bewerber „objektiv ungeeignet“ i.S.d. AGG?

ASLOGOBAG, Urteil vom 14. November 2013, Az. 8 AZR 997/12; vgl. auch NZA 2014, 489 bzw. NJW 2014, 1130

Sachverhalt (etwas vereinfacht): Die Beklagte schaltete im April 2009 eine Stellenanzeige für ein „S Graduate Program Traineeprogramm für Führungsnachwuchskräfte (m/w) im Bereich Human Resources“. In dieser heißt es u.a.:
  „Das S Graduate Program (SGP) ist ein internationales Traineeprogramm für unseren Führungsnachwuchs und bereitet Sie auf spätere Managementaufgaben im In- und Ausland vor. Für die Zukunftsgestaltung unseres Unternehmens suchen wir ambitionierte und hochqualifizierte Hochschulabsolventen, für die soziale Kompetenz und Verantwortungsbereitschaft selbstverständlich sind. Für unsere Sektoren und Corporate Units suchen wir Trainees für den Bereich Human Resources mit den Studienrichtungen Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik sowie anverwandte.
  Ausbildung: Sie haben Ihr Studium überdurchschnittlich gut mit der Studienrichtung Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik abgeschlossen. Ihr Studienschwerpunkt liegt idealerweise im Bereich Arbeitsrecht, Personal, Arbeits- und Organisationspsychologie, Wirtschaftspädagogik oder anverwandte. Unser Traineeprogramm richtet sich speziell an Berufseinsteiger, d.h. Ihr Abschluss sollte maxi-mal 1 Jahr zurückliegen oder in den nächsten Monaten angestrebt werden. ….. “
  Der am 11. Mai 1973 geborene Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 24. April 2009 für dieses Traineeprogramm. Im Jahre 1999 hatte er in Bayern die Erste Juristische Staatsprüfung mit 6,58 Punkten („befriedigend“) und im Jahre 2001 die Zweite Juristische Staatsprüfung mit 5,60 Punkten („ausreichend“) abgelegt. Seiner Onlinebewerbung fügte der Kläger die Zeugnisse seiner beiden Staatsexamina nicht bei und teilte auch seine Examensnoten nicht mit. Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 29. April 2009 mittels E-Mail eine Absage.

Kann der Kläger eine immaterielle Entschädigung verlangen?

A. Sounds
1. Das Vorliegen einer „vergleichbaren Situation“ i.S.d. § 3 I 1 AGG setzt u.a. voraus, dass der Bewerber objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen.

2. Für die Beurteilung dieser erforderlichen objektiven Eignung ist nicht nur auf das formelle und bekannt gegebene Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber erstellt hat, zurückzugreifen und abzustellen. Maßgeblich sind vielmehr die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Bewerber in redlicher Weise stellen durfte.

3. Eine Stellenanzeige, die sich an Bewerber mit einem Studienabschluss „überdurchschnittlich gut“ richtet, verlangt ein „gutes“ und sodann sogar „überdurchschnittlich gutes“ Examen, mithin nicht nur ein bloß „überdurchschnittliches“, sondern herausragendes Zeugnis.

4. Scheidet eine konkrete Betroffenheit eines abgelehnten Bewerbers wegen dessen objektiver Ungeeignetheit für die ausgeschriebene Stelle aus, so scheitert daran auch ein Entschädigungsanspruch wegen einer möglicherweise vorliegenden mittelbaren Diskriminierung.

Lösung

Der Kläger könnte einen Anspruch auf eine Entschädigung gemäß § 15 II AGG haben.


Hinweis: Prüfen Sie in einer Klausur immer zuerst, ob der Kläger seinen Entschädigungsanspruch innerhalb der Fristen der § 15 IV AGG, § 61b I ArbGG geltend gemacht hat.


Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus.
  § 15 II AGG enthält zwar nur eine Rechtsfolgenregelung; jedoch ist für die Voraussetzungen des Anspruchs auf § 15 I 1 AGG zurückzugreifen. Dies ergibt sich bereits aus dem systematischen Zusammenhang.


Hemmer-Klausur-Tipp: Schreiben Sie diesen Einstieg bei jeder Klausur ausdrücklich nieder!
  Diese „Schachtelprüfung“ des Tatbestands von § 7 AGG auch im Rahmen von § 15 II AGG ist eigentlich eine blanke Selbstverständlichkeit, da offenkundig ist, dass dieser Anspruch nur die Rechtsfolge von § 15 I AGG modifiziert, im Übrigen aber auf diesem aufbaut. Da das BAG diese Ungenauigkeit des Wortlauts von § 15 II AGG aber ausnahmslos immer erwähnt, wird sich das auch auf dem Bewertungsbogen des Korrektors befinden!


1. Persönliche Anspruchsvoraussetzungen

Der Kläger ist als Bewerber „Beschäftigter“ nach § 6 I 2 1. Alt. AGG und fällt daher unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG.
  In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob er für die ausgeschriebene Tätigkeit objektiv geeignet ist. Die objektive Eignung eines Bewerbers ist vielmehr für die Frage bedeutsam, ob eine „vergleichbare Situation“ i.S.d. § 3 I 1 AGG vorliegt. Auch auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung kommt es nicht an, weil ihr Fehlen allenfalls den Einwand treuwidrigen Verhaltens des Bewerbers begründen könnte.
  Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passiv legitimiert. Nach § 6 II 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist mithin auch derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet.

2. Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Benachteiligung

Zu prüfen ist, ob die Beklagte den Kläger unmittelbar oder mittelbar in unzulässiger Weise benachteiligt hat (§§ 1, 7 I, § 3 I und II AGG).

a. Prüfung einer unmittelbaren Benachteiligung i.S.d. § 3 I 1 AGG

Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 I 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - zu denen auch das Alter zählt - eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die nachteilige Maßnahme muss dabei unmittelbar an das verbotene Merkmal anknüpfen bzw. mit diesem begründet werden.

aa. Vorliegen einer weniger günstigen Behandlung

Der Kläger erfuhr bereits im Zeitpunkt der Absage eine weniger günstige Behandlung als die später tatsächlich eingestellte Bewerberin.
  Darüber hinaus war auch die Behandlung des Klägers im Vergleich mit den zu Vorstellungsgesprächen eingeladenen (letztlich gleichfalls erfolglosen) Bewerbern weniger günstig. Ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung oder Beförderung, liegt nämlich bereits dann vor, wenn der Bewerber nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden wird. Hier liegt die Benachteiligung in der Versagung einer Chance.

bb. Vorliegen einer „vergleichbaren Situation“ i.S.d. § 3 I 1 AGG

Weiter nötig ist aber, dass der Kläger sich mit den zu einem Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerbern und der letztlich erfolgreichen Bewerberin „in einer vergleichbaren Situation“ (§ 3 I 1 AGG) befand.

(1) Regeln für die Prüfung einer „vergleichbaren Situation“

Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt zunächst voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen.
  Für die Beurteilung der damit stets erforderlichen objektiven Eignung ist nicht nur auf das formelle und bekannt gegebene Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber erstellt hat, zurückzugreifen und abzustellen. Maßgeblich sind vielmehr die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Bewerber in redlicher Weise stellen durfte. Zwar darf der Arbeitgeber über den einer Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stelleninhabers grundsätzlich frei entscheiden. Durch überzogene Anforderungen, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des Allgemeinen Diskriminierungsschutzes de facto beseitigen.
  Es ist grundsätzlich zulässig, in einem Stellenprofil eine bestimmte Mindestnote oder sonstige besondere Qualifikationen zu fordern. Hierzu ist ein Arbeitgeber vor allem dann berechtigt, wenn es um die Gewinnung von Führungsnachwuchs oder die Besetzung von Führungsstellen geht. Hierin liegen mit Blick auf die besonderen Anforderungen in solchen Positionen keine überzogenen oder willkürlichen Auswahlkriterien.

(2) Prüfung dieser Regeln im konkreten Fall

Die Beklagte hat in ihrer Stellenanzeige „ambitionierte und hochqualifizierte“ Hochschulabsolventen für den Bereich Human Resources mit den Studienrichtungen Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik „sowie anverwandte“ gesucht. Zudem hat sie unter der Rubrik „Ausbildung“ gefordert: „Sie haben Ihr Studium überdurchschnittlich gut mit der Studienrichtung Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik abgeschlossen.“ Diese spezifische Anforderung ist mit Blick auf die - als „Mission“ bezeichnete - gewünschte Gewinnung (und Bindung) von Führungsnachwuchs für spätere Managementaufgaben im In- und Ausland gerechtfertigt und unbedenklich.
  Der Kläger verfügt zwar über das - hier aufgrund der Fokussierung auf „Hochschulabsolventen“ maßgebliche - erste juristische Staatsexamen. Allerdings erfüllt seine dabei erzielte Abschlussnote nicht die hohe Anforderung eines „überdurchschnittlich gut(en)“ Examens.
  Auch wenn man die Besonderheiten des juristischen Examens, insbesondere in Bayern, berücksichtigt, so handelt es sich bei einem Examen mit 6,58 Punkten um keinen solchen überdurchschnittlich guten Abschluss.


Anmerkung: Haben Sie den Einschub registriert? Das war alles O-Ton. Das BAG wäre also offenbar gewillt, einen „Bayern-Bonus“zu gewähren. Die kennen sich aus!


Die Anforderung „überdurchschnittlich gut“ ist nämlich - aus der hier maßgeblichen Sicht des Erklärungsempfängers, d.h. des Lesers der Stellenanzeige - nicht so zu lesen: „überdurchschnittlich und damit gut“. Vielmehr muss es sich zunächst um ein „gutes“ und sodann sogar „überdurchschnittlich gutes“ Examen handeln, mithin um ein herausragendes Zeugnis. Dies belegt auch der systematische Zusammenhang der Stellenausschreibung. So werden ausdrücklich „hochqualifizierte Hochschulabsolventen“ als Führungsnachwuchs gesucht. Das lediglich „befriedigende“ „Prädikatsexamen“ (im unteren Notenbereich) des Klägers ist kein Ausweis einer Hochqualifizierung. Juristen mit knapp „befriedigendem“ Staatsexamen hat die Beklagte erkennbar nicht ansprechen wollen.
  Nach alledem entsprach der Kläger von vornherein nicht den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle. Sein Defizit war so erheblich, dass eine weitere Prüfung seiner Bewerbung nicht ernstlich in Betracht gekommen wäre.

(3) Problem: Unkenntnis der Beklagten von den Noten

Es kam deshalb auch nicht darauf an, dass die Beklagte aufgrund der diesbezüglich lückenhaften Stellenbewerbung (keine Angabe der Examensnote) des Klägers von dessen Examensnote keine Kenntnis hatte, weil es diesem bereits an der maßgeblichen objektiven Eignung fehlte.
  Da das AGG vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen und nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren will, steht einem objektiv ungeeigneten Bewerber kein Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG zu. Deshalb kann bei objektiver Nichteignung des Bewerbers auch bei Nichtkenntnis des Arbeitgebers von der Nichteignung kein Entschädigungsanspruch des abgelehnten Bewerbers entstehen.

b. Prüfung einer mittelbaren Benachteiligung i.S.d. § 3 II AGG

Da der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet war, scheidet auch eine mittelbare Benachteiligung i.S.d. § 3 II AGG wegen seines Alters aus.
  Auch ein Entschädigungsanspruch wegen mittelbarer Diskriminierung setzt eine konkrete Betroffenheit des Benachteiligten voraus. Damit stellt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung letztlich als Hilfsmittel zur Durchsetzung des eigentlichen Verbots unmittelbarer Diskriminierung dar.

Ergebnis

Die Beklagte hat den Kläger weder unmittelbar noch mittelbar in unzulässiger Weise (§§ 1, 7 I, § 3 I und II AGG) benachteiligt. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG ist daher nicht gegeben.


Vertiefungshinweis: Einen vom konkreten Bewerbungsverfahren losgelösten, einer „Popularklage“ ähnelnden Anspruch auf Unterlassung künftiger diskriminierender Ausschreibungen bzw. auf künftige diskriminierungsfreie Neuausschreibungen ist aus dem AGG nicht herzuleiten. Eine solche Unterlassungsklage ist unzulässig. Es fehlt für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch bereits an der erforderlichen, von Amts wegen zu prüfenden Prozessführungsbefugnis und damit an einer Prozessvoraussetzung.