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Verwirkung des Anspruchs auf Elternunterhalt: Jahrzehntelanger Kontaktabbruch als schwere Verfehlung des Berechtigten?

ASLOGOBGH, Beschluss vom 12. Februar 2014, Az. XII ZB 607/12; vgl. auch NJW 2014, 1177

Sachverhalt: Die Eltern des 1953 geborenen Antragsgegners trennten sich 1971; ihre Ehe wurde noch im selben Jahr geschieden. Der Antragsgegner verblieb im Haushalt seiner Mutter und hatte anfangs noch einen losen Kontakt zu seinem Vater. Nach Erreichen des Abiturs im Jahr 1972 brach der Kontakt zu seinem 1923 geborenen Vater ab. Dieser bestritt seinen Lebensunterhalt als Rentner aus den Erträgen einer Lebensversicherung sowie einer geringen Altersrente. 1998 errichtete er ein notarielles Testament, in dem er seine Bekannte zur Erbin einsetzte. Zudem bestimmte er, dass der Antragsgegner nur den „strengsten Pflichtteil“ erhalten solle. Erläuternd führte der Vater in dem Testament aus, dass zu seinem Sohn seit rund 27 Jahren kein Kontakt mehr bestehe.

Kann der inzwischen pflegebedürftige und einkommens- sowie vermögenslose Vater Unterhalt von seinem leistungsfähigen (einzigen) Sohn verlangen?

A. Sounds
1. Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 I 1 3. Alt. BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden.

2. Ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch stellt regelmäßig eine Verfehlung dar. Sie führt aber nur ausnahmsweise bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 I 1 3. Alt. BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts.

B. Lösung
Ein Anspruch könnte gemäß § 1601 BGB gegeben sein. Er könnte aber nach § 1611 BGB entfallen.
  Gemäß § 1611 I 1 3. Alt. BGB braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht, wenn sich der Unterhaltsberechtigte vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Unterhaltspflicht entfällt vollständig, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten im Hinblick darauf grob unbillig wäre, § 1611 I 2 BGB.

1. Allgemeine Regeln der Anwendung von § 1611 I 1 3. Alt. BGB

Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 I 1 3. Alt. BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden.
  Als Begehungsformen kommen aktives Tun und Unterlassen in Betracht, letzteres allerdings nur, wenn der Berechtigte dadurch eine Rechtspflicht zum Handeln verletzt.
  Daher kann sich auch eine – durch Unterlassen herbeigeführte – Verletzung elterlicher Pflichten, wie etwa der Pflicht zu Beistand und Rücksicht im Sinne von § 1618a BGB, der auch auf das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern Anwendung findet , als Verfehlung gegen das Kind darstellen.
  Eine „schwere Verfehlung“ im vorgenannten Sinn ist nicht auf einzelne, schwerwiegende Übergriffe gegen den Unterhaltspflichtigen oder dessen nahe Angehörige beschränkt.
  Eine schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 I 1 3. Alt. BGB kann sich auch aus einer Gesamtschau des Verhaltens des Unterhaltsberechtigten ergeben. Selbst wenn die einzelnen Verfehlungen dabei nicht besonders schwer wiegen, kommt es maßgeblich darauf an, ob sie zusammengenommen zeigen, dass sich der Unterhaltsberechtigte in besonders vorzuwerfender Weise aus der familiären Solidarität gelöst und damit letztlich bezogen auf seine familiären Verpflichtungen eine schwere Verfehlung begangen hat.

2. Voraussetzungen der Anwendung von § 1611 I 1 3. Alt. BGB bei Kontaktverweigerung

Eine vom Unterhaltsberechtigten ausgehende Kontaktverweigerung kann, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen eine Verwirkung des Unterhalts gemäß § 1611 I BGB begründen.
  Beim Kindesunterhalt vermag allerdings die Ablehnung jeder persönlichen Kontaktaufnahme zu dem unterhaltspflichtigen Elternteil durch das (volljährige) Kind allein oder auch in Verbindung mit unhöflichen und unangemessenen Äußerungen diesem gegenüber eine Herabsetzung oder den Ausschluss des Unterhalts nach § 1611 I BGB nicht zu rechtfertigen.
  Zur Begründung dieser Auffassung wird u.a. darauf hingewiesen, dass es einem Kind in der Regel nicht als schwerer Schuldvorwurf angelastet werden könne, wenn es während seiner Minderjährigkeit durch die Trennungsgeschichte seiner Eltern und unter dem Einfluss des sorgeberechtigten Elternteils in eine Konfrontationshaltung zu dem unterhaltsverpflichteten Elternteil hineinwächst und diese Haltung auch über die Volljährigkeit hinaus beibehält, zumal solche Beziehungsstörungen durch die Reife und Verselbständigung des Kindes nicht ohne weiteres behoben werden.
  Die Annahme einer vorsätzlichen schweren Verfehlung des Kindes setzt im Übrigen grundsätzlich eine umfassende Abwägung aller maßgeblichen Umstände voraus, die auch das eigene Verhalten des unterhaltsverpflichteten Elternteils - und zwar sowohl gegenüber dem Kind als auch gegebenenfalls gegenüber dem geschiedenen Elternteil, der das Kind jahrelang versorgt und betreut und bei dem dieses seit seiner Minderjährigkeit gelebt hat - angemessen zu berücksichtigen hat.
  Beim Elternunterhalt kann eine Verwirkung demgegenüber dann gerechtfertigt sein, wenn der Elternteil sein Kind, das er später auf Elternunterhalt in Anspruch nimmt, schon im Kleinkindalter bei den Großeltern zurückgelassen und sich in der Folgezeit nicht mehr in nennenswertem Umfang um es gekümmert hat. Dann offenbart das Unterlassen des Elternteils einen so groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme, dass nach Abwägung aller Umstände von einer schweren Verfehlung ausgegangen werden kann.

3. Prüfung des § 1611 I 1 3. Alt. BGB im konkreten Fall

Indem der Vater des Antragsgegners eine Beziehung zu seinem Sohn vermieden und dadurch den Antragsgegner nachhaltig belastet hat, hat der Vater gegen seine Verpflichtung verstoßen, seinem Sohn beizustehen und auf seine Belange Rücksicht zu nehmen (vgl. nun § 1618a BGB).
  Die in Form der Kontaktverweigerung begangene Verfehlung hat der Vater noch dadurch dokumentiert, dass er seinen Sohn im Jahr 1998 enterbt hat. Die Errichtung dieses Testaments selbst stellt allerdings keine Verfehlung dar. Vielmehr hat der Vater lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht (vgl. §§ 2064 ff., 2303 I 1 BGB).
  Ein solches Verhalten des Vaters seinem Sohn gegenüber wird auch nicht durch langjährig bestehende Ehekonflikte relativiert. Denn solche persönlichen Konflikte betreffen unmittelbar nur die Eheleute, berechtigen den Vater nicht dazu, sich auch gegenüber seinem Sohn zurückzuziehen.
  Allerdings handelt es sich jedoch nicht um eine schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 I 1 3. Alt. BGB.
  Zwar mag der Vater durch sein Verhalten das familiäre Band zu seinem Sohn aufgekündigt haben. Sein Verhalten offenbart jedoch nicht einen so groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme, dass von einer schweren Verfehlung ausgegangen werden könnte. Denn bis zur Trennung der Eltern im Jahr 1971 und mithin in den ersten 18 Lebensjahren des Antragsgegners war der Vater Teil des Familienverbands und hat sich um den Antragsgegner gekümmert. Der Vater hat daher gerade in den regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erfordernden Lebensphasen seines Sohnes bis zum Erreichen der Volljährigkeit im Wesentlichen den aus seiner Elternstellung folgenden Rechtspflichten genügt.
  Als es im Jahr 1972 zum Kontaktabbruch kam, war der damals fast 19-jährige Antragsgegner zwar nach damaliger Rechtslage noch nicht volljährig, hatte jedoch bereits erfolgreich das Abitur abgelegt und damit eine gewisse Selbständigkeit erlangt.
  Das in die Zeit ab dem 19. Lebensjahr des Antragsgegners fallende Verhalten des Vaters stellt sich im Hinblick darauf nicht als eine schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 I 1 3. Alt. BGB dar. Insoweit unterscheidet sich dieser Fall maßgeblich von der Konstellation, in der der jetzt unterhaltsberechtigte Elternteil sein Kind im Kleinkindalter verlassen hatte.

Ergebnis

Der Unterhaltsanspruch besteht grds., wobei sich die Höhe gemäß § 1610 I BGB nach dem Bedarf des Gläubigers richtet.