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Uraltstreit beendet: Auflösungsantrag nach § 9 KSchG nicht möglich bei bloßer Änderungsschutzklage!

ASLOGOBAG, Urteil vom 24. Oktober 2013, Az. 2 AZR 320/13; vgl. auch NZA 2014, 486

Sachverhalt: Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1985 als Baumaschinenführer beschäftigt. Er erhielt zuletzt gemäß der Lohngruppe 5 des einschlägigen Tarifvertrags ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.500 Euro.
  Mit Schreiben vom 14. Dezember 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Juli 2014 und bot dem Kläger zugleich eine Weiterbeschäftigung ab 1. August 2014 zu den Bedingungen der Lohngruppe 4 an. Der Kläger nahm das Änderungsangebot mit Schreiben vom 20. Dezember 2013 unter dem Vorbehalt an, dass die Änderungskündigung nicht sozial ungerechtfertigt oder aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam ist.
  Er erhob rechtzeitig Änderungsschutzklage und beantragte zugleich, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
  Der Kläger meint, die Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm jedoch nicht zumutbar. Die Beklagte habe ihn vor Ausspruch der Kündigung immer wieder schikaniert und habe grob gegen vertragliche und gesetzliche Bestimmungen verstoßen.

Das Arbeitsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Änderungskündigung tatsächlich sozial ungerechtfertigt ist. Ist der Antrag auf Auflösung dann erfolgversprechend?

A. Sounds
§ 9 I 1 KSchG findet im Rahmen einer Änderungsschutzklage nach § 4 S. 2 KSchG weder unmittelbare noch analoge Anwendung. Hat der Arbeitnehmer also das Angebot unter Vorbehalt angenommen, kann das Arbeitsverhältnis also nur auf andere Weise beendet werden.

B. Lösung
Zu prüfen ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 I 1 KSchG vorliegen. Dazu müsste die Bestimmung im Rahmen einer Änderungsschutzklage nach § 4 S. 2 KSchG überhaupt unmittelbar oder analog anwendbar sein.


Hinweis: Ob eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 I 1 KSchG auch im Rahmen einer Klage nach § 4 S. 2 KSchG möglich ist, hatte das BAG bisher noch nicht entschieden. Es hat aber angenommen, eine Auflösung sei bei Klagen gegen Änderungskündigungen dann möglich, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot nicht unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG angenommen habe.


Teilweise wird vertreten, findet § 9 KSchG auch in diesem Fall Anwendung. Es sei eine großzügige Auslegung geboten, weil es „überflüssige Förmelei“ bedeute, den Arbeitnehmer auf die Möglichkeit einer Eigenkündigung zu verweisen. Als Voraussetzung der Auflösung genüge ein „Streit über die Feststellung der sozialen Unwirksamkeit einer Kündigung“. Auch bei dem Verfahren nach § 2 KSchG handele es sich um eine Kündigungsschutzklage. Aus § 8 2. Hs. KSchG ergebe sich, dass auch in dessen Rahmen „über die Änderungskündigung“ entschieden werde. Eine Unzumutbarkeit, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, trete zudem nicht immer innerhalb der Frist von drei Wochen nach § 2 KSchG ein, so dass eine Auflösung auch im Rahmen der Änderungsschutzklage noch bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung möglich sein müsse. Zumindest enthalte das KSchG insoweit eine Lücke. Es lasse an keiner Stelle erkennen, dass es auch dem Arbeitgeber den Auflösungsantrag nach § 9 I 2 KSchG für den Fall der Annahme unter Vorbehalt abschneiden wolle.
  Nach Ansicht der h.M. und des BAG ist § 9 I 1 KSchG im Fall einer Klage nach § 4 S. 2 KSchG weder unmittelbar noch analog anwendbar.

I. Keine unmittelbare Anwendung von § 9 I 1 KSchG auf § 4 S. 2 KSchG

Nach Ansicht der h.M. und des BAG ergibt die Auslegung von § 9 I 1 KSchG, dass die Bestimmung im Fall einer Klage nach § 4 S. 2 KSchG keine Anwendung findet. Begründung:

1. Wortlaut des § 9 I 1 KSchG

Schon der Wortlaut des § 9 I 1 KSchG spricht für diese Lesart.
  Danach ist Voraussetzung für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses, dass das Gericht feststellt, es sei „das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst“ und dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten.
  Eine solche gerichtliche Feststellung kommt im Rahmen einer Änderungsschutzklage nach § 4 S. 2 KSchG nicht in Betracht. Der Arbeitnehmer, der das mit einer Kündigung verbundene Änderungsangebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG annimmt, hat nach § 4 S. 2 KSchG Klage auf Feststellung zu erheben, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus sonstigen Gründen unwirksam ist. Die Beendigungswirkung der Kündigung steht in diesem Fall nicht mehr im Streit. Infolge der Annahme des Änderungsangebots – wenn auch unter Vorbehalt – steht vielmehr fest, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht.
  Streitgegenstand der Änderungsschutzklage ist allein, zu welchen Bedingungen es fortbesteht. Hat die Klage Erfolg, stellt das Gericht entsprechend § 4 S. 2 KSchG fest, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus einem anderen Grund unwirksam ist. Anderenfalls weist es die Änderungsschutzklage ab und das Arbeitsverhältnis besteht zu den für diesen Fall akzeptierten, geänderten Bedingungen fort.
  Aus § 8 KSchG ergibt sich trotz der missverständlichen Formulierung nichts anderes. Die Bestimmung stellt lediglich klar, dass die mit der Annahme unter Vorbehalt verbundene auflösende Bedingung rückwirkend eintritt, der Arbeitsvertragsinhalt also von Anfang an unverändert fortbesteht, wenn der Kläger mit der Änderungsschutzklage obsiegt.
  Die Auffassung, das Gericht stelle auch bei einer erfolgreichen Änderungsschutzklage fest, das Arbeitsverhältnis sei nicht aufgelöst – und zwar hinsichtlich seiner bisherigen Bedingungen nicht –, übersieht den Umstand, dass in § 9 I 1 KSchG zweimal von der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Rede ist. Nicht nur im ersten, sondern auch im letzten Halbsatz wird der Ausdruck gebraucht. Nach der dortigen Vorgabe hat ggf. das Gericht das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Insofern geht es unzweifelhaft um eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses insgesamt. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass dem Ausdruck im ersten Halbsatz der Bestimmung eine andere Bedeutung zukäme.

2. Gesetzessystematik und Regelungszusammenhang

Für den Ausschluss von § 9 I 1 KSchG im Zusammenhang mit der Änderungsschutzklage nach § 4 S. 2 KSchG sprechen auch Gesetzessystematik und Regelungszusammenhang.
  Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kann nach § 9 KSchG nur erfolgen, wenn der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage Erfolg hat. Wird die Klage abgewiesen, besteht für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses kein Anlass. In diesem Fall hat schon die Kündigung die Auflösung bewirkt. Bei einer Änderungsschutzklage besteht das Arbeitsverhältnis dagegen unabhängig von ihrem Ausgang fort. Dies ist eine systematisch grundlegend andere Konstellation.
  Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach einem Obsiegen mit der Änderungsschutzklage brächte zudem Schwierigkeiten im Hinblick auf den Auflösungszeitpunkt mit sich. Nach § 9 II KSchG ist das Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt aufzulösen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Hat der Arbeitnehmer das mit einer Kündigung verbundene Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen, ist das Arbeitsverhältnis aber über diesen Zeitpunkt hinaus einvernehmlich fortgesetzt worden.
  Das einvernehmlich fortgeführte Arbeitsverhältnis müsste also rückwirkend beendet werden. Zwar erfolgt auch bei einer Beendigungskündigung die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses häufig auf einen zurückliegenden Zeitpunkt. Das Arbeitsverhältnis wurde in diesem Fall aber nicht einvernehmlich über den vorgesehenen Beendigungstermin hinaus fortgesetzt.

3. Sinn und Zweck der §§ 9, 10 KSchG

Nicht zuletzt stehen Sinn und Zweck der §§ 9, 10 KSchG der Auffassung entgegen, eine solche Auflösung sei auch im Falle einer Änderungsschutzklage nach § 4 S. 2 KSchG möglich.
  Die §§ 9, 10 KSchG beruhen auf der Erwägung, dass es während eines Kündigungsschutzprozesses zu zusätzlichen Spannungen zwischen den Parteien kommen kann, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen.
  Zu solchen Belastungen kann es zwar auch im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Änderungskündigung kommen. Dies unterscheidet das Änderungsschutzverfahren aber nicht von sonstigen Verfahren, in denen die Parteien über den Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses streiten (z.B. wg. des Direktionsrechts, Abmahnungen, Entgeltbestandteile oder Urlaubsfragen). In diesen Fällen kann mangels einer gesetzlichen Regelung die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zweifellos nicht verlangt werden.
  Eine Sonderstellung der Änderungsschutzklage ist insoweit nicht erkennbar. Zwar wurde nur letztere durch eine Kündigung des Arbeitgebers veranlasst. Deren beendigende Wirkung ist aber durch die Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt gerade entfallen.
  Dieser letzte Gesichtspunkt unterscheidet die Situation bei einer Änderungsschutzklage maßgeblich von der bei einer Kündigungsschutzklage nach § 4 S. 1 KSchG. Anders als mit einer reinen Beendigungskündigung bringt der Arbeitgeber mit einer Änderungskündigung zum Ausdruck, dass er – wenn auch unter anderen Bedingungen – zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bereit ist. Der Arbeitnehmer hat die Wahl, ob er das Änderungsangebot ablehnen oder unter Vorbehalt annehmen will. Entscheidet er sich – und sei es unter Vorbehalt – für die Annahme, erklärt er damit ebenfalls, das Arbeitsverhältnis fortsetzen zu wollen. Es besteht damit in jedem Fall weiter.
  Bei dieser Ausgangslage ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum das Gericht ein Arbeitsverhältnis, dessen Bestand gar nicht im Streit steht, sollte auflösen können. Bei § 9 KSchG handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift. Das Kündigungsschutzgesetz ein Bestandsschutz-, kein Abfindungsgesetz.

II. Keine analoge Anwendung von § 9 I 1 KSchG auf § 4 S. 2 KSchG

Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von § 9 I 1 KSchG auf Fälle der Änderungsschutzklage liegen nicht vor.
  Analoge Gesetzesanwendung setzt voraus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt, wie die erfassten Fälle. Daran fehlt es hier. Der geregelte und der nicht geregelte Sachverhalt sind nicht vergleichbar.
  Die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch das Gericht stellt einen Eingriff in die Vertrags- und Berufsfreiheit (Art. 2 I, Art. 12 I GG) der Parteien dar. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit umfasst sowohl die Wahl des Arbeitsplatzes durch den Arbeitnehmer als auch die Auswahl der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber.
  Zwar ist nach § 9 KSchG die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur auf Antrag zulässig. Der Schutzbereich der Vertragsparteien ist gleichwohl betroffen. Wünscht der Arbeitnehmer die Auflösung, ist der Arbeitgeber, obwohl er selbst gekündigt hat, betroffen, weil er für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zahlen muss. Erfolgt die Auflösung auf Wunsch des Arbeitgebers, verliert der Arbeitnehmer trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung seinen Arbeitsplatz.
  Streiten die Parteien nur über die Bedingungen des bestehenden Arbeitsverhältnisses, gibt es keinen Grund, einen solchen gerichtlichen Eingriff vorzusehen. Die Situation ist im wesentlichen Punkt anders als in einem Fall, in dem die Parteien über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses streiten und die Beendigung ein mögliches Ergebnis des Prozesses ist.
  Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind auch ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht gezwungen, an einem unzumutbar gewordenen Arbeitsverhältnis festzuhalten. Beide können das Arbeitsverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 626 I BGB fristlos kündigen, der Arbeitnehmer kann dies ohne weiteres auch ordentlich, der Arbeitgeber dann, wenn ein Kündigungsgrund nach § 1 II KSchG gegeben ist. Kündigt der Arbeitnehmer wegen eines ver-tragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers fristlos, kann er zudem nach § 628 II BGB Ersatz des entstehenden Schadens verlangen.

Ergebnis

Danach ist der Auflösungsantrag des Klägers unbegründet, weil dieser das mit der Kündigung verbundene Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen, rechtzeitig unter dem Vorbehalt seiner sozialen Rechtfertigung angenommen hatte. Ob anderenfalls ausreichende Auflösungsgründe (Unzumutbarkeit) vorgelegen hätten, ist für dieses Ergebnis unerheblich.