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Letzter Akt der Korrektur des Gesetzgeberversagens durch BAG? AGG-Entschädigungsanspruch natürlich auch bei diskriminierenden Kündigungen!

ASLOGOBAG, Urteil vom 12. Dezember 2013, Az. 8 AZR 838/12 = NZA 2014, 722

Sachverhalt: Die Klägerin ist bei der Beklagten, die regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer i.S.d. § 23 I KSchG beschäftigt, seit dem 1. September 2010 bei einer Arbeitszeit von 30 Wochen-stunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von 750 Euro als Vertriebsmitarbeiterin angestellt. In der Jahresmitte 2011 wurde bei der Klägerin eine Schwangerschaft mit voraussichtlichem Entbindungstermin am 16. Januar 2012 festgestellt. Am 4. Juli 2011 bescheinigte ihr Gynäkologe ein sofortiges, generelles Beschäftigungsverbot i.S.d. § 3 I MuSchG. Davon unterrichtete die Klägerin den Geschäftsführer der Beklagten, der verärgert reagierte und die Klägerin drängte, weiter zu arbeiten. Die Klägerin lehnte dies ab. 
  Durch eine weitere Untersuchung wurde am 14. Juli 2011 festgestellt, dass die Leibesfrucht abgestorben war. Für den damit notwendigen Eingriff wurde die Klägerin für den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt. Darüber informierte die Klägerin noch am 14. Juli 2011 ihre Vorgesetzte, die Innendienstleiterin S der Beklagten. Nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung. Frau S informierte den Geschäftsführer der Beklagten. 
  Dieser verfasste noch am 14. Juli 2011 eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. August 2011 „aus betriebsbedingten Gründen“ und ließ diese am Abend desselben Tages in den Briefkasten der Klägerin einwerfen. 
  Am 15. Juli 2011 wurde die Klägerin stationär in einem Klinikum aufgenommen. Es wurde ein fehlender Abgang der (toten) Leibesfrucht im vierten Schwangerschaftsmonat festgestellt. Die Frucht wurde entfernt. Bei ihrer Rückkehr fand die Klägerin in ihrem Hausbriefkasten die Kündigung vom 14. Juli 2011. 
  Unter dem 9. August 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal „aus betriebsbedingten Gründen“, diesmal zum 15. September 2011. Die Beklagte hat dazu vortragen lassen, dass diese zweite Kündigung erfolgte, da sie nicht wusste, ob bei der Klägerin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch galten oder nicht. Zu betriebsbedingten Kündigungen anderer Arbeitnehmer kam es nicht. 
  Die Klägerin hat beide Kündigungen der Beklagten mit fristgerechten Feststellungsklagen angegriffen. In der am 5. August 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 12. August 2011 zugestellten Klage gegen die erste Kündigung beantragt sie außerdem, die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 II AGG für die mit Datum vom 14. Juli 2011 ausgesprochene Kündigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch den Betrag von 3.000 Euro nicht unterschreiten darf. 
  Ihren Antrag auf Klageabweisung begründet die Beklagte damit, dass die Kündigung nur zufällig eine zeitliche Nähe zur Beendigung der Schwangerschaft aufweise. Die Kündigung beruhe auf unternehmerischer Entscheidung und sei von normalen geschäftlichen Überlegungen getragen.

Ist die Klage auf Zahlung einer Entschädigung erfolgversprechend?

A. Sounds
1. Bei diskriminierenden Kündigungen ist trotz des vollkommen missratenen Wortlauts von § 2 IV AGG ein Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden nach § 15 II AGG grundsätzlich möglich.

2. Die merkmalsbezogene Belastung in Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch, wenn sie über das Normalmaß hinausgeht.

B. Lösung
Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung stützt sich auf § 15 II AGG und müsste zulässig und begründet sein.

A. Zulässigkeit der Klage

Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt (§ 253 II Nr. 2 ZPO).
  Die Klägerin durfte die Höhe der von ihr begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 15 II 1 AGG räumt dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung einen Beurteilungsspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass der Kläger Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt.
  Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin hat einen Sachverhalt dargelegt, der dem Gericht die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht, und den Mindestbetrag der für angemessen erachteten Entschädigung mit 3.000 Euro beziffert.

B. Begründetheit der Klage

Der Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG kommt dann in Betracht, wenn er nicht durch § 2 IV AGG ausgeschlossen ist und die Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und daher wegen ihres Geschlechts ungünstiger behandelt wurde (§ 7 I i.V.m. §§ 1, 3 I 2 AGG).

I. Anwendungsbereich des AGG

Der Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet.
  Als Arbeitnehmerin ist die Klägerin „Beschäftigte“ i.S.d. AGG, § 6 I 1 Nr. 1 AGG. Die Beklagte, die die Klägerin beschäftigt hat, ist Arbeitgeberin, § 6 II 1 AGG.

II. Wahrung gesetzlicher Ausschlussfristen

Den Entschädigungsanspruch hat die Klägerin rechtzeitig nach § 15 IV 1 AGG geltend gemacht.
  Bereits die am 5. August 2011 beim Arbeitsgericht eingegangene und am 12. August 2011 zugestellte Klage gegen die Kündigung vom 14. Juli 2011 enthielt unter Ziff. 2 den Antrag auf Entschädigung. Damit hat die Klägerin sowohl die Zweimonatsfrist des § 15 IV 1 AGG als auch die Klagefrist des § 61b I ArbGG gewahrt.


Anmerkung: Das ist O-Ton BAG und müsste in einer Klausur genauer geprüft werden, weil hier einiges an Konfliktpotential existiert. Zu beachten ist insbesondere die Differenzierung des BAG hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 167 ZPO i.V.m. § 46 II 1 ArbGG:
  Erste Stufe der Ausschlussfrist gemäß § 15 IV AGG („schriftliche“ Geltendmachung beim Arbeitgeber): Dieses Schriftformgebot verlangt nicht die gesetzliche Schriftform nach § 126 I BGB, ausreichend ist vielmehr die Textform nach § 126b BGB. Grund: Die Geltendmachung i.S.v. § 15 IV 1 AGG ist keine Willenserklärung, sondern eine einseitige rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Die schriftliche Erhebung kann – wie es im hier zu besprechenden BAG-Fall geschehen war – durch die Klageerhebung ersetzt werden, sofern die Klage innerhalb der Zweimonatsfrist des § 15 IV AGG dem Arbeitgeber zugestellt worden ist. Erst die Zustellung stellt den Zugang i.S.d. § 130 I BGB dar. Dabei soll § 167 ZPO für diese Stufe nicht gelten , da es keine prozessuale Frist ist. 
  Die zweite Stufe der Ausschlussfrist gemäß § 61b I ArbGG (diese gilt schon aufgrund des Wortlauts „Entschädigung“ nur für den Anspruch aus § 15 II AGG, nicht den aus § 15 I AGG ) ist eine prozessuale Frist mit der Folge, dass §§ 167 ZPO, 46 II 1 ArbGG anwendbar sind.


 III. Problem: Entfallen des Entschädigungsanspruchs wegen § 2 IV AGG?

Einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 II AGG kann die Klägerin grundsätzlich auch in Ansehung der Bestimmung des § 2 IV AGG geltend machen.

1. Vollkommen missratener Wortlaut von § 2 IV AGG

Der Wortlaut von § 2 IV AGG bestimmt, dass „für Kündigungen“ ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten.
  Die Sperrregelung in § 2 IV AGG, wonach für Kündigungen „ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ gelten, kann keinesfalls so verstanden werden, dass die Benachteiligungsverbote des AGG bei Kündigungen gar nicht gelten würden.
  Andernfalls würde ein innerer Widerspruch zu § 2 I Nr. 2 AGG („Entlassungsbedingungen“) und zu § 10 S. 3 Nr. 1 AGG entstehen und das Erfordernis einer europarechtskonformen Auslegung von § 2 IV AGG missachtet werden (vgl. Art. 3 Ic der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG).
  Der Gesetzgeber wollte mit § 2 IV AGG für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem AGG und dem KSchG sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen regeln. Die Diskriminierungsverbote des AGG sollten in die vorhandenen Bestimmungen eingepasst werden. Neben das KSchG und die speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes sollte kein „zweites“, durch das AGG vermitteltes Kündigungsschutzrecht treten. In solchen Fällen wird also die Anwendbarkeit von § 134 BGB i.V.m. §§ 1, 2 I, 7 AGG ausgeschlossen.

2. Behandlung des Wortlauts von § 2 IV AGG durch das BAG

Im Ergebnis hat das BAG in zahlreichen Entscheidungen nun einen Weg gefunden, der die praktische Auswirkung des gesetzgeberischen Totalversagens fast auf null reduziert, weil sich § 2 IV AGG so nur auf den jeweiligen konstruktiven Weg auswirkt, aber letztlich nicht auf das Endergebnis.

a) Bedeutung für die Wirksamkeit von Kündigungen bei Anwendbarkeit des KSchG

Für Kündigungen hat die Rechtsprechung diesen Streit dahin gehend aufgelöst, dass die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des KSchG in der Weise zu beachten sind, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen.
  Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG, so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen.


Anmerkung: Dort besteht die Wirkung von § 2 IV AGG also (nur) darin, einen eigenständigen Prüfungspunkt über § 134 BGB zu verhindern und dieselbe Prüfung anders zu verorten.


 b. Bedeutung für die Wirksamkeit von Kündigungen bei Nichtanwendbarkeit des KSchG

Wenn es um eine ordentliche Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer geht, auf den das KSchG (noch) keine Anwendung findet (§§ 1 I, 23 I KSchG), so ist die Kündigung gemäß § 134 BGB unwirksam, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen eines in § 1 AGG geschützten Merkmals benachteiligt (§§ 1, 2 I, 7 AGG). § 2 IV AGG steht dem infolge einer teleologischen Reduktion dieser Vorschrift nicht entgegen.
  Eine Sperrwirkung für Kündigungen, für die wie die hier streitbefangene Wartezeitkündigung das KSchG (noch) nicht gilt und für die weder spezielle Kündigungsregelungen des BGB wie § 626 und § 613a IV BGB noch besondere Kündigungsschutzbestimmungen in Betracht kommen, war nicht bezweckt.
  Bedeutung kommt § 2 IV AGG für solche Kündigungen nur insofern zu, als es z.B. bei der Anwendbarkeit der Klagefrist des § 4 KSchG und der Rechtsfolgen des § 7 KSchG bleibt.
  Grund: Bei ordentlichen Kündigungen, auf die das KSchG (noch) keine Anwendung findet und bei denen der Arbeitnehmer geltend macht, die Kündigung diskriminiere ihn, besteht kein nach diesem Gesetzeszweck zu vermeidender Konflikt zwischen zwei ausdifferenzierten Kündigungsschutzsystemen.
  Der Wortlaut des § 2 IV AGG steht diesem v.a. aus dem Gesetzeszweck hergeleiteten Auslegungsergebnis nicht entgegen.
  Zwar ordnet § 2 IV AGG unterschiedslos für alle „Kündigungen“ an, dass für sie ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Die Anwendung der Norm ist jedoch im Wege der teleologischen Reduktion zu beschränken: Sie gilt nur für Kündigungen, für die das KSchG oder speziell auf Kündigungen zugeschnittene Vorschriften des BGB bzw. besondere Kündigungsschutzbestimmungen gelten.
  Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben gelten aber grundsätzlich keine Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ i.S.d. § 2 IV AGG.
  Unter „allgemeinem Kündigungsschutz“ wird nämlich – entsprechend der Überschrift des Ersten Abschnitts des KSchG – der Kündigungsschutz nach diesem Abschnitt des KSchG verstanden. Mit „allgemeinem Kündigungsschutz“ nach BGB sind nur solche Bestimmungen gemeint, die speziell auf Kündigungen zugeschnitten sind. Das sind vor allem §§ 613a, 622 und 626 BGB.
  Die für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und in der Wartezeit maßgeblichen zivilrechtlichen Generalklauseln der § 138 und § 242 BGB sind dagegen – wie schon ihre Bezeichnung zeigt – gerade nicht speziell auf Kündigungen zugeschnitten, sondern Auffangtatbestände, die zudem erst unter Berücksichtigung verfassungs- oder unionsrechtlicher Vorgaben ihren Bedeutungsgehalt für Kündigungen gewinnen.
  Deshalb sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB keine „Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz“ i.S.d. § 2 IV AGG.

c) Bedeutung für den Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG

Ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung sperrt § 2 IV AGG weitergehende Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 II AGG nicht.
  § 2 IV AGG steht einem solchen Verständnis des § 15 II AGG nicht entgegen. Damit wird – wie oben aufgezeigt – nur der Weg beschrieben, auf dem die Diskriminierungsverbote des AGG in das Kündigungsschutzrecht selbst einzupassen sind. Die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu sanktionieren sind, ist davon gar nicht berührt.
  Ansprüche nach § 15 II AGG auf Entschädigung wegen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, auch im Fall einer sozial nicht gerechtfertigten, diskriminierenden Kündigung grundsätzlich zuzulassen, ist nicht systemwidrig.
  Auch bisher waren etwa auf § 823 I BGB ge
stützte Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht ausgeschlossen.
  Dabei ist zu berücksichtigen, dass erklärte Kündigungen oft Bezüge zu den Anknüpfungsmerkmalen des AGG aufweisen. Im Normalfall wird eine ungerechtfertigte Belastung durch die Überprüfung der Kündigung anhand der Bestimmungen des allgemeinen und des besonderen Kündigungsschutzes ausgeräumt.
  Eine merkmalsbezogene Belastung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG, wenn die Belastung - wie bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung - über das Normalmaß hinausgeht.


Hinweis: Offen ließ das BAG noch, ob bei diskriminierenden Kündigungssachverhalten weitere Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 I AGG in Betracht kommen können. 
  „Grundsätzlich wird bei einer für unwirksam befundenen Kündigung der materielle Schaden, was die Kündigung selbst angeht, im Wege der Naturalrestitution ausgeglichen, für weitere materielle Folgen von Kündigungen stehen die Anspruchsgrundlagen des bürgerlichen Rechts unabhängig von § 15 I AGG seit jeher zur Verfügung, z.B. § 615 BGB.“


 IV. Prüfung des Tatbestands von § 15 II AGG selbst

Durch die Kündigungen hat die Klägerin eine weniger günstige Behandlung erfahren als die übrigen vergleichbaren Arbeitnehmer der Beklagten, denen nicht gekündigt wurde.
  Die Klägerin hat eine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 I 1 AGG wegen ihres Geschlechts als einem der in § 1 AGG genannten, verbotenen Merkmale erfahren, weil sie als Frau wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt worden ist, § 3 I 2 AGG.

1. Regeln der Kausalitätsprüfung

Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal „Schwangerschaft/Geschlecht“ ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund - die Schwangerschaft - das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat.
  Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an.
 Die Schwangerschaft muss mithin nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt.
  Besteht eine derartige Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

2. Prüfung im konkreten Fall

Vorliegend ist vom Vorliegen der Kausalität zwischen der Schwangerschaft der Klägerin und dem Kündigungsverhalten der Beklagten auszugehen.

a) Kündigung während noch bestehender Schwangerschaft

Die Kündigung vom 14. Juli 2011 ist der Klägerin während ihrer noch bestehenden Schwangerschaft zugegangen.
  Damit verstieß sie objektiv gegen das Verbot des § 9 I 1 MuSchG, wonach die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig ist, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war.
  Aufgrund des am 14. Juli 2011 erfolgten Einwurfs in den Hausbriefkasten der Klägerin ging dieser die Kündigung spätestens am Morgen des 15. Juli 2011 zu. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Schwangerschaft aber noch.
  § 9 I 1 MuSchG - Kündigungsverbot - wie § 6 I 1 MuSchG - Beschäftigungsverbot - stellen auf den Begriff der Schwangerschaft und auf deren Ende durch „Entbindung“ ab. Unter „Entbindung“ ist grundsätzlich die „Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib“ zu verstehen, was bei einer Lebendgeburt vollkommen unproblematisch ist.
  Kinder gelten als tot geboren oder in der Geburt verstorben, wenn das Gewicht der Leibesfrucht mindestens 500 g betragen hat. Auch eine solche Totgeburt ist als Entbindung anzusehen. Eine tot geborene Leibesfrucht von geringerem Körpergewicht als 500g gilt dagegen als Fehlgeburt, § 31 III PStV, die keine Entbindung im Sinne des MuSchG bedeutet.
  Bei einer Fehlgeburt besteht der Schutz vor Kündigungen nur, aber eben auch bis zum Zeitpunkt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib.


 Anmerkung: Solche Feinheiten sollte ein vernünftiger Aufgabensteller im Sachverhalt einer Klausur durch kleine Veränderungen oder Hinweise „entschärfen“.


Die Schwangerschaft der Klägerin hatte also nicht mit dem Absterben des Kindes in der Gebärmutter geendet. Entscheidend war vielmehr die Trennung der toten Leibesfrucht vom Mutterleib, die erst im Verlauf des 15. Juli 2011 erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigung der Klägerin schon zugegangen. Wann die Klägerin als Empfängerin die Kündigung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, ist unerheblich.
  Da die Kündigung mit Zugang wirksam wurde und die Klägerin in diesem Zeitpunkt noch schwanger war, verstieß die Kündigung der Beklagten vom 14. Juli 2011 gegen § 9 I 1 MuSchG.

b) Indizwirkung des Verstoßes gegen das MuSchG

Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des MuSchG zu Gunsten der werdenden Mutter bei Erklärung der ersten Kündigung indiziert eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts, § 3 I 2 AGG i.V.m. § 1 AGG.


Beachten sie aber: Ein Indiz liegt auch noch nicht darin, wenn der Arbeitgeber nach Mitteilung von der ihm zunächst nicht bekannten Schwangerschaft nicht sofort auf das Verlangen nach „Rücknahme“ der Kündigung reagiert. Rechtstechnisch ist eine solche Rücknahme nämlich gar nicht möglich, nötig wäre eine einvernehmliche Verständigung der Parteien.


Die Beklagte kann diesen Kausalzusammenhang nicht dadurch mit Erfolg bestreiten, dass sie auf eine am 14./15. Juli 2011 bestehende komplizierte kündigungs- und mutterschutzrechtliche Konstellation verweist.
  Im Gegenteil: Ihr Hinweis, sie habe nicht gewusst, ob „bei der Klägerin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch gelten oder nicht“ und deswegen das Arbeitsverhältnis am 9. August 2011 nochmals gekündigt, wirkt verstärkend: Ein Arbeitgeber, der die Möglichkeit eines geschlechtsspezifischen Kündigungsverbotes erkennt und gleichwohl eine Kündigung ausspricht oder die Kündigung aus genau dieser Überlegung wiederholt, will „erst recht“ wegen des Geschlechts der Arbeitnehmerin benachteiligen.
  Im Übrigen deutet diese Argumentation der Beklagten darauf hin, dass weder ein neuer, vom Geschlecht der Klägerin unabhängiger Kündigungsentschluss bei der Kündigung vom 9. August 2011 zugrunde lag noch, dass der ersten Kündigung „betriebsbedingte“ Motivationen zugrunde lagen.
  Auch die Tatsache, dass sich der Geschäftsführer der Beklagten über das Beschäftigungsverbot vom 4. Juli 2011 verärgert gezeigt und die Klägerin erfolglos zur Weiterarbeit gedrängt hatte, deutet darauf hin, dass die nur zehn Tage später ausgesprochene Kündigung eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft war.
  Schließlich spricht auch die Tatsache, dass die Klägerin bei ihrer Nachricht an Frau S am 14. Juli 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung für den Zusammenhang. Damit hatte sie nämlich das Ende des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes mitgeteilt.
  Darüber hinaus ist die Kündigung vom 14. Juli 2011 „zur Unzeit“ erklärt worden. Die Art der Treuwidrigkeit ist wiederum geschlechtsspezifisch diskriminierend. Es verstößt grob gegen die Pflicht der Beklagten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin, ihr noch vor dem Weg ins Krankenhaus, wo sie - für die Beklagte bekannt - einen artifiziellen Abort vornehmen lassen musste, die Kündigungserklärung zukommen zu lassen. Dies kann nur als absichtliche Missachtung der persönlichen Belange der Klägerin angesehen werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation sah und darüber hinaus den Tod ihres Kindes zu verarbeiten hatte. Die Beklagte hat bewusst einen Zugangszeitpunkt gewählt, der die Klägerin besonders beeinträchtigen musste.

Ergebnis

Da die Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und daher wegen ihres Geschlechts ungünstiger behandelt wurde (§ 7 I i.V.m. §§ 1, 3 I 2 AGG), ist ein Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG gegeben. Hinweis: Die Höhe wurde vom LAG mit 3.000 € angesetzt, was vom BAG nicht beanstandet wurde.