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ASLOGOBAG, Urteil vom 12. März 2015, Az. 6 AZR 82/14; vgl. auch NZA 2015, 676

Klage gegen Aufhebungsvertrag: Prüfungsmaßstab für AGB-Kontrolle einer zusätzlichen Klageverzichtsklausel

Sachverhalt: (etwas verändert): Der Kläger war seit August 2001 bei der Beklagten, die ein Unternehmen des Einzelhandels rund 25.000 Mitarbeitern betreibt, beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung fand auf das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag (MTV) Anwendung. § 11 X dieses MTV bestimmt:

„Auflösungsverträge bedürfen der Schriftform. Jede der Parteien kann eine Bedenkzeit von drei Werktagen in Anspruch nehmen. Ein Verzicht hierauf ist schriftlich zu erklären.“

Am 28. Dezember 2012 führte der Bezirksleiter mit dem Kläger ein Personalgespräch. Er hielt ihm vor, dass er dringend verdächtig sei, am Vortag zwei Fertigsuppen aus dem Lagerbestand der Beklagten entnommen und verzehrt zu haben, ohne sie in die Liste der Personalkäufe eingetragen oder bezahlt zu haben. Dies habe ein anonymer Anrufer der Filialleitung mitgeteilt. Der Bezirksleiter kündigte ihm an, die Beklagte werde wegen des Diebstahls der Suppen die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklären und Strafanzeige erstatten. Zudem habe der Kläger mit einer Sperre beim Bezug von Arbeitslosengeld zu rechnen. Die angekündigten Konsequenzen könne er nur vermeiden, wenn er einen von der Beklagten bereits fertig vorbereiteten Aufhebungsvertrag unterzeichne. Der Kläger bestritt die Vorwürfe, unterzeichnete jedoch am Ende des etwa anderthalbstündigen Personalgesprächs den Aufhebungsvertrag.

Dieser unter dem Briefkopf der Zentrale der Beklagten mit dem Datum 27. Dezember 2012 erstellte Vertrag enthält u.a. folgende Regelungen:

„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das bestehende Arbeitsverhältnis zum 28. Dezember 2012 beendet wird.       ………….

8. Der Arbeitnehmer verzichtet ausdrücklich auf Bedenkzeit und die Möglichkeit eines Widerrufs.

9. Die Vertragsparteien verzichten auf die Einlegung von Rechtsmitteln (Klage etc.).“

Mit Schreiben vom 28. Dezember 2012, das der Beklagten per Fax übermittelt wurde, focht der Kläger den Aufhebungsvertrag an. In diesem Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten heißt es auszugsweise:

„Abgesehen davon, dass das gesamte Vorgehen Ihres Filialleiters und der Wortlaut des Aufhebungsvertrages bereits als sittenwidrig anzusehen ist und damit von Anfang an nichtig ist, fechte ich hiermit vorsorglich im Auftrage meines Mandanten die von ihm abgegebene Erklärung in der Form seiner Unterschrift unter den ihm vorgelegten Aufhebungsvertrag gemäß § 123 BGB mit der Folge rückwirkender Nichtigkeit an.“

Anschließend findet sich im Anfechtungsschreiben eine umfassende Darstellung, dass und warum die Drohung der Beklagten mit einer außerordentlichen Kündigung 2012 unberechtigt gewesen sei.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses. In seiner Replik beruft er sich nun auch auf das tarifliche Widerrufsrecht und erklärt, dass er sich darauf von Anfang an gestützt hätte, wenn ihm die Existenz des Widerrufsrechts früher bekannt gewesen wäre.

Erfolgsaussichten der Klage (ohne Prüfung des Rechtswegs, sachlicher Zuständigkeit usw.)?


Sounds

1. Wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Anfechtung und Widerruf steckt in einer Anfechtungserklärung nicht zwingend auch eine Ausübung des Widerrufsrechts. Hierfür muss die Erklärung hinreichend deutlich machen, dass der Vertrag gerade wegen des Widerrufs nicht gelten solle.

2. Ein formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten Kündigung geschlossen wird, stellt eine Nebenabrede dar, die nicht gemäß § 307 III 1 BGB der AGB-Kontrolle entzogen ist.

3. Ein solcher Klageverzicht benachteiligt den Arbeitnehmer dann unangemessen i.S.v. § 307 I, II Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte, die Drohung also widerrechtlich i.S.d. § 123 BGB ist.

 

Lösung

Dem Erfolg der vorliegenden Klage könnte bereits die unterschriebene Klageverzichtsklausel entgegenstehen, wenn diese selbst wirksam ist. 

I. Grundsätzliches zum Klageverzicht:

Wird unter Missachtung einer solchen wirksam eingegangenen Verpflichtung zur Nichterhebung eine Klage erhoben, ist diese nach Ansicht des 6. Senats des BAG als unzulässig abzuweisen.[1]

Anmerkung: Beim ähnlichen Fall des Verzichts auf die Kündigungsschutzklage ist es umstritten, ob ein solcher Verzicht die Unzulässigkeit oder die Unbegründetheit der Kündigungsschutzklage zur Folge hätte.[2] Für die Verankerung in der Begründetheit spricht dort m.E. ganz klar die extrem große Ähnlichkeit eines Klageverzichts mit dem bewussten Verstreichenlassen der Frist nach § 4 KSchG: Dies würde sich über § 7 KSchG nämlich unzweifelhaft in der Begründetheitsprüfung auswirken!

Auch vorliegend kann man starke Argumente gegen die aufbaumäßige Verortung durch den 6. Senat vorbringen, m.E. sogar noch stärkere: Die Prüfung der Anfechtung des Aufhebungsvertrags selbst und damit die Widerrechtlichkeit der Drohung mit Kündigung ist unzweifelhaft ein Begründetheitsproblem. Wie unten zu zeigen sein wird, verwendet das BAG für die Überprüfung des Klageverzichts aber exakt denselben Prüfungsmaßstab wie für diese Überprüfung der Anfechtung des Aufhebungsvertrags und fordert damit eine „beschränkte Schachtelprüfung“ der Kündigungsgründe. Diese – ggf. viele Seiten lange – Prüfung des materiellen Kündigungsrechts (!) inklusive zahlreicher Beweisfragen ist in der Zulässigkeit der Klage doch völlig deplatziert! Dies gilt umso mehr, als letzten Endes mit der Bejahung der Zulässigkeit der Klage bereits feststeht, dass diese dann gar nicht mehr unbegründet sein kann (s.u.)!

Der Wirksamkeit der Klageverzichtsklausel könnten aber v.a. ein Widerruf oder eine wirksame Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung entgegenstehen.

II. Widerruf der Abreden mit dem tarifvertraglichen Widerrufsrecht:

Der Kläger hat mit dem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 28. Dezember 2012 den Aufhebungsvertrag nur nach § 123 BGB angefochten und sich auf die Sittenwidrigkeit dieses Vertrags berufen, nicht aber den nach § 11 X MTV möglichen Widerruf erklärt. Im Ergebnis lehnt es das BAG auch ab, in den abgegebenen Erklärungen eine konkludente Widerrufserklärung der Abreden (Aufhebungsvertrag und Klageverzicht) zu sehen. Begründung:[3]

Anfechtung einer Willenserklärung und Widerruf einer auf den Abschluss eines Vertrags gerichteten Willenserklärung sind unterschiedliche rechtsgestaltende Erklärungen, die unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen und unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen.

Die Anfechtung muss innerhalb der gesetzlichen Frist des § 121 bzw. § 124 BGB erfolgen. Sie bedarf eines Anfechtungsgrundes und führt gemäß § 142 I BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ex tunc. Der Widerruf unterliegt anderen Fristen und bedarf keines Grundes. Die Willenserklärung ist bis zum Ablauf der tariflich eröffneten „Bedenkzeit“ nicht endgültig wirksam, sofern nicht der tariflich ebenfalls mögliche Verzicht auf den Widerruf erklärt wird. Das Widerrufsrecht nach § 11 X MTV schiebt das endgültige Zustandekommen des Vertrags bis zum Ablauf der Bedenkzeit hinaus.

Wegen dieser unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Anfechtung und Widerruf genügt zur Ausübung des Widerrufs eine Erklärung, die lediglich erkennen lässt, dass der Erklärende an den Vertrag nicht mehr gebunden sein will, nicht. Vielmehr muss die Erklärung hinreichend deutlich machen, dass der Vertrag gerade wegen des Widerrufs nicht gelten solle.

Das Schreiben vom 28. Dezember 2012 lässt lediglich erkennen, dass der Aufhebungsvertrag wegen Sittenwidrigkeit und der erklärten Anfechtung nach § 123 BGB nichtig sein solle. Daraus lässt sich nicht der erforderliche Wille entnehmen, Gebrauch von einem Widerrufsrecht zu machen. Das gilt umso mehr, weil der Kläger bei Abgabe der Anfechtungserklärung anwaltlich vertreten war. Rechtskundige sind bei den von ihnen abgegebenen Erklärungen grundsätzlich beim Wort zu nehmen.

Der erforderliche Widerrufswille fehlte auch deshalb, weil dem späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers im Zeitpunkt der Erstellung des Schreibens vom 28. Dezember 2012 das tarifliche Widerrufsrecht offensichtlich noch gar nicht bekannt war.

Hinweis: In einer Klausur müsste man ggf. auch ein Widerrufsrecht gemäß § 312g I i.V.m. § 312b I 1 Nr. 1, 312 I BGB („Außergeschäftsraumgeschäft“ [früher: „Haustürgeschäft“ gemäß § 312 I 1 Nr. 1 1. Alt. BGB a.F.] diskutieren.

Anders als nach der bis 12. Juni 2014 gültigen Rechtslage kann das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts nicht mehr zweifelhaft sein: Der Abschluss von arbeitsrechtlichen Verträgen (etwa Aufhebungsverträgen) imPersonalbüro des Arbeitgebers begründet kein Widerrufsrecht, denn das Personalbüro ist ein unbeweglicher Gewerberaum, an dem der Unternehmer genau diese Tätigkeit „dauerhaft“ ausübt (§ 312b II 1 BGB).[4]

Das BAG lehnte bereits zuvor die Anwendbarkeit von § 312 I 1 Nr. 1 1. Alt. BGB a.F. auf Aufhebungsverträge ab, obwohl der Wortlaut eigentlich passte. Dies ergebe sich v.a. aus der Systematik des Gesetzes und seinem Sinn und Zweck (teleologische Reduktion).[5]

III. Unwirksamkeit der Klageverzichtsabrede nach § 307 I BGB:

Zu prüfen ist, ob der Klageverzicht in Ziffer 9 des Aufhebungsvertrags der Parteien gegen § 307 I, II Nr. 1 BGB verstößt.

1. Überprüfbarkeit der Klausel nach AGB-Recht:

Bei den Klauseln des Vertrags vom 27. Dezember 2012 handelt es sich jedenfalls um Einmalbedingungen i.S.v. § 310 III Nr. 2 BGB.

Formularmäßige Abreden, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen, sind aus Gründen der Vertragsfreiheit gemäß § 307 III 1 BGB regelmäßig von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 I 1 BGB ausgenommen.[6]

Darum unterliegt in einem Aufhebungsvertrag die Beendigungsvereinbarung als solche ebenso wenig einer Angemessenheitskontrolle wie eine als Gegenleistung für die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses etwaig gezahlte Abfindung.[7]

Vorliegend enthält dass Ziffer 9 des Aufhebungsvertrags aber eine kontrollfähige Nebenabrede.[8]

Gegenleistung für die Zustimmung des Klägers zum Aufhebungsvertrag war allein der Verzicht der Beklagten auf die in Aussicht gestellte außerordentliche Kündigung und Strafanzeige.

Alle weiteren Klauseln des Vertrags zu den übrigen, im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehenden noch regelungsbedürftigen Fragen unterliegen als Nebenabreden in vollem Umfang der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Dies rechtfertigt sich daraus, dass der Arbeitnehmer seine Abschlussentscheidung von solchen Nebenpunkten im Allgemeinen nicht abhängig macht.

Anmerkung: Der 2. Senat des BAG ließ in einer anderen aktuellen Entscheidung nun aber offen, ob es sich beim Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage um eine Nebenabrede zum Arbeitsvertrag oder um die Haupt- oder Nebenabrede eines eigenständigen Vertrags handelt, und lieferte eine ganz andere Begründung:

Auch Hauptabreden seien nicht generell von der Inhaltskontrolle nach § 307 I 1 und II BGB ausgeschlossen. Sie seien ihr gemäß § 307 III 1 BGB nur dann entzogen, wenn sie – wie regelmäßig! – keine von Rechtsvorschriften abweichenden oder diese ergänzenden Regelungen enthalten. Eine solche Abweichung sei mit einem Klageverzicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung jedoch verbunden, weil durch ihn von der gesetzlichen Regelung in § 4 S. 1 KSchG abgewichen wird.[9]

2. Maßstab für die Angemessenheitsprüfung i.S.d. § 307 I, II BGB:

Der Klageverzicht verwehrt dem Kläger dauerhaft das Recht, die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrags gerichtlich geltend zu machen. Er kann zwar die von ihm abgegebene Willenserklärung gegenüber der Beklagten anfechten. Die Anfechtung bleibt jedoch ohne die Möglichkeit, ihre Wirksamkeit auch gerichtlich inhaltlich überprüfen lassen zu können, wirkungslos. Im Ergebnis nimmt Ziffer 9 ihm damit die Möglichkeit, den Vertrag rechtlich durchsetzbar anzufechten.

Ein solcher formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers geschlossen wird, ist mit dem gesetzlichen Leitbild nur dann zu vereinbaren, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte und die Drohung deshalb nicht widerrechtlich ist.[10] Anderenfalls benachteiligt der Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 I, II Nr. 1 BGB.

Anmerkung: Geht es unmittelbar um die Prüfung des Aufhebungsvertrags und damit um die Frage der Widerrechtlichkeit der Drohung mit einer Kündigung i.S.d. § 123 I BGB, verwendet das BAG seit langem exakt diesen Prüfungsmaßstab. Dies stellt eine Art „eingeschränkte Schachtelprüfung“ der Kündigung selbst dar, die aber zwei grundlegende Unterschiede zu einem „echten“ Kündigungsschutzprozess aufweist (s.u.).

Exakt diesen eingeschränkten Prüfungsmaßstab verwendet der 6. Senat des BAG also nun für die (vorgeschaltete) Angemessenheitsprüfung der Klageverzichtsklausel gemäß § 307 I, II Nr. 1 BGB.

Etwas anders der 2. Senat des BAG für den – ähnlichen, aber nicht identischen – Fall des Verzichts auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage: Hiernach stellt ein formularmäßiger Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage immer dann eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 I 1 BGB dar, wenn er ohne arbeitgeberseitige Gegenleistung erfolgt.

Bei einer Klageverzichtsklausel in einem unter dem Druck der Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung geschlossenen Aufhebungsvertrag ist zu differenzieren.

Nach dem gesetzlichen Regelungskonzept ist eine nach § 123 BGB anfechtbar zustande gekommene Willenserklärung nur dann nichtig, wenn sie innerhalb der Anfechtungsfrist des § 124 BGB angefochten wird. Der Getäuschte oder Bedrohte kann sich also entscheiden, ob er die Willenserklärung ungeachtet ihres rechtswidrigen Zustandekommens gegen sich gelten lassen will. Ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht ist darum nach der anfechtbaren Handlung ohne Weiteres möglich.[11]

Erklärt der Arbeitnehmer in einem Aufhebungsvertrag, der zur Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, einen Klageverzicht, wird dieser Verzicht - wie die übrigen Bestimmungen des Vertrags - mit der Unterzeichnung der zweiten Vertragspartei wirksam.

In einem solchen Fall, in dem der Verzicht Teil des anfechtbaren Rechtsgeschäfts ist, lassen sich die Drohung mit der Kündigung und der Klageverzicht rechtlich (und tatsächlich) letztlich nicht trennen.

Auch der Verzicht ist unter dem Druck der Drohung erklärt. Der Klageverzicht im Aufhebungsvertrag vom 27. Dezember 2012 benachteiligt den Kläger darum nur dann nicht unangemessen i.S.v. § 307 I, II Nr. 1 BGB, wenn die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung nicht widerrechtlich war.

Letztlich kann der Arbeitgeber durch eine Klageverzichtsklausel, die Teil eines der AGB-Kontrolle unterliegenden Aufhebungsvertrags ist, eine gerichtliche Prüfung der durch den Arbeitnehmer erklärten Anfechtung damit nicht verhindern.

Anmerkung: Wenn die Klageverzichtsklausel diesem (eingeschränkten) Prüfungsmaßstab nicht stand hält, steht also schon von vornherein fest, dass der gesamte Aufhebungsvertrag selbst auch wirksam nach § 123 I BGB angefochten wurde. Durch die nur eingeschränkte Schachtelprüfung liegt die zu überwindende Hürde für den Arbeitnehmer also recht hoch; wenn er sie überwindet, hat er damit auch gleichzeitig auch noch eine zweite Hürde gemeistert.

Dies ist bei dem – oben bereits erwähnten – Fall des Verzichts auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage anders: Dort ist infolge des anderen Maßstabs des 2. Senats die Unwirksamkeit des formularmäßigen Klageverzichts (viel) einfacher zu bejahen, sagt letzten Endes aber noch nicht viel darüber aus, ob der Arbeitnehmer dann wirklich den Kündigungsschutzprozess gewinnen wird, weil für diesen dann erst der eigentliche Prüfungsmaßstab des Kündigungsrechts (also i.d.R. § 626 BGB oder § 1 II KSchG) gilt.

3. Maßstab für die Widerrechtlichkeitsprüfung i.S.d. § 123 I BGB:

Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Drohung mit einer Kündigung nur dann widerrechtlich i.S.d. § 123 I BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Es kommt darauf an, ob die ausgesprochene Drohung mit einer Kündigung auch aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers vertretbar war.

Es ist dagegen nicht erforderlich, dass die angekündigte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte.[12]

Bei einem anderen Maßstab würde man außer Acht lassen, dass die Rechtsordnung eine nicht durch ausreichende Kündigungsgründe gedeckte Kündigungserklärung nicht schlechthin missbilligt. So können z.B. gemäß §§ 13 I 2, 7 KSchG Kündigungen, die nicht durch ausreichende Kündigungsgründe gedeckt sind, als von Anfang an rechtswirksam gelten, wenn der Arbeitnehmer ihre Unwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend gemacht hat.

Daher kann sich die Widerrechtlichkeit der Kündigungsdrohung regelmäßig nur aus der Inadäquanz von Mittel und Zweck ergeben. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks (Eigenkündigung bzw. Auflösungsvertrag) kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung nach Treu und Glauben nicht mehr als ein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zweckes anzusehen, so ist die Drohung widerrechtlich; dies ist eben dann der Fall, wenn ein verständiger Arbeitgeber die Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hätte.

Folge: Es hat eine „schachtelweise“ Prüfung der Kündigungschancen stattzufinden, allerdings aus der Arbeitgeberperspektive mit diesem verschobenen bzw. eingeschränkten Maßstab!

Dabei kann von einem verständigen Arbeitgeber zwar nicht generell verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung die Beurteilung des Gerichts „trifft“. Nur wenn unter verständiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Arbeitgeber davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die Kündigungserklärung nicht in Aussicht stehen, um damit den Arbeitnehmer zu einer Eigenkündigung oder zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu veranlassen.

Dabei trägt der anfechtende Arbeitnehmer die Beweislast für sämtliche Voraussetzungen des Anfechtungstatbestandes. Der Arbeitnehmer hat daher die Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, die die angedrohte Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen. Der Arbeitnehmer muss hier also - soweit es darauf ankommt - beweisen, dass er die ihm vorgeworfene Tat nicht oder nicht vorsätzlich begangen hat.[13]

Anmerkung: Es ist eine Ihrer Hauptaufgaben in der Klausur, diese Unterschiede zum „richtigen“ Kündigungsschutzprozess herauszuarbeiten und auch tatsächlich umzusetzen. Dieser Maßstab ist letztlich viel „arbeitgeberfreundlicher“ als derjenige im Kündigungsschutzprozess des § 626 I BGB oder § 1 I KSchG.

4. Angemessenheitsprüfung i.S.d. § 307 I, II BGB im konkreten Fall:

Im Fall war die Drohung nach diesen Maßstäben rechtswidrig: es war eine verhaltensbedingte Kündigung beabsichtigt und angedroht. Diese Kündigung war aus Sicht des verständigen Arbeitgebers aber nicht mehr „vertretbar“:

Eine Verdachtskündigung erfordert einen – durch objektive Umstände begründeten – schweren Verdacht einer schweren Pflichtverletzung.

Vorliegend bestand nur ein sehr vager Verdacht einer Pflichtverletzung. Selbst wenn die Ware tatsächlich fehlen sollte, kann dies zahlreiche Gründe haben, die nichts mit dem Kläger zu tun haben. Die Spur zu ihm wurde aber offenbar nur über den – angeblichen – anonymen Anrufer hergestellt. Unter diesen Umständen muss ein verständiger Arbeitgeber jedenfalls erst umfassende Aufklärungsbemühungen vornehmen, bevor er Maßnahmen einleitet. Die Schwere der Tat könnte – unabhängig von der Größe des evtl. Schadens – auch allenfalls bei Vorsatz angenommen werden, für den es hier aber gerade am schweren Verdacht fehlt.

Die Drohung mit der Kündigung war somit kein adäquates Mittel, um den Aufhebungsvertrag zu erreichen und daher widerrechtlich i.S.v. § 123 I BGB. Folglich war der Verzicht auf Klageerhebung unangemessen i.S.v. § 307 I, II Nr. 1 BGB.

Zwischenergebnis:

Die Klage ist zulässig, da die Klageverzichtsabrede unwirksam ist und daher nicht entgegensteht.

Anmerkung: Im Originalfall hatte das LAG – ausgehend von einem anderen rechtlichen Standpunkt (vermeintlich wirksamer Widerruf) – keine Feststellungen zur Widerrechtlichkeit der Drohung getroffen. Deswegen hat das BAG dort zur Aufklärung zurückverwiesen. Die erste Instanz hatte aber die Anfechtung geprüft und die Widerrechtlichkeit der Drohung verneint. Man wird sicher annehmen können, dass dieses Ergebnis gewiss u.a. daran lag, dass die Schachtelprüfung der Kündigung hier viel „arbeitgeberfreundlicher“ ablaufen muss als bei einer Kündigungsschutzklage. V.a. darin liegt der Wert des Aufhebungsvertrags für den Arbeitgeber. In dieser Besprechung hier wurde aus didaktischen Gründen der Sachverhalt zum Kündigungsgrund extrem vereinfacht bzw. verändert.

II. Begründetheit der Klage:

Die Klage ist auch begründet, da der geschlossene Aufhebungsvertrag gemäß § 123 I BGB wirksam angefochten ist und daher das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

Wie aufgezeigt, war die Drohung mit der Kündigung im vorliegenden Fall kein adäquates Mittel, um den Abschluss des Aufhebungsvertrags zu erreichen und daher widerrechtlich i.S.v. § 123 I BGB. Auch die Erklärungsfrist des § 124 BGB wurde beachtet.

Ergebnis

Die Klage ist auch begründet.




 

[1]     Vgl. BAG NZA 2015, 676 [RN 19]. 

[2]     Vgl. hierzu etwa ErfK/Kiel § 4 KSchG, RN 29. Der 2. Senat (vgl. BAG NZA 2008, 219 = BAGE 124, 59 [RN 13]) prüfte dies teilweise als Frage der Begründetheit der Kündigungsschutzklage und ließ den Streit teilweise offen (vgl. BAG NZA 2015, 350 [RN 11]). 

[3]     Vgl. BAG NZA 2015, 676 [RN 15 ff]. 

[4]     Vgl. auch Tyroller in Life & Law 2014, 298. 

[5]     Vgl. BAG NZA 2004, 597. 

[6]     Vgl. BAG NZA 2004, 597 [604]; BAG, Urteil vom 8. Mai 2008, 6 AZR 517/07. 

[7]     Vgl. BAG NZA 2015, 676 [RN 23 m.w.N.]. 

[8]     Vgl. BAG NZA 2015, 676 [RN 24]. 

[9]     Vgl. BAG NZA 2015, 350 [RN 20 f.]. Eine ausführliche Besprechung dieses Falles finden Sie in der Life & Law Bayern Spezial 2015, Heft 7. 

[10]    Vgl. BAG NZA 2015, 676 [RN 27]. 

[11]    Vgl. BAG NZA 2015, 676 [RN 30]. 

[12]    Gefestigte Rechtsprechung, vgl. etwa BAG NZA 2006, 841 [843 f.]; NZA 2004, 597 [599]. 

[13]    Vgl. BAG NZA 2000, 27 [29]; NZA 2008, 348 [354]: Allerdings muss der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast ein substantiiertes Bestreiten vornehmen, indem er im Einzelnen darlegt, dass er in vertretbarer Weise einen Kündigungsgrund annehmen durfte.